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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Monat anscheinend die Skarpea zurückgekommen und hat die Seele der Letzten aus dem Geschlecht der Baskakows mitgenommen. Jedenfalls legen die Bauern den Tod von Sofja Baskakowa so aus. Unter den Einheimischen geht immer mal wieder das Gerücht, jemand habe im Sumpf Mütterchen Skarpea gesehen, und Frau Baskakowa kam zu Tode, als gerade wieder Gerüchte umliefen: Erst will einer was gesehen haben, dann ein zweiter. Schon seit Monaten hat keiner mehr einen Fuß ins Faule Moor gesetzt, und nun auch noch so was.«
    Tulpow blickte den Ethnographen bestürzt an und befahl: »Vom Tod der Frau Baskakowa erzählen Sie möglichst ausführlich. Aber gehen wir weiter, es ist schon spät. Sie können ja auch im Gehen reden.«
    Sie folgten wieder dem mondbeschienenen Pfad, aber langsamer jetzt, weil sich der Gelehrte nun ab und zu nach Tulpow umdrehte.»Verstehen Sie, einerseits ist das natürlich ein zufälliges Zusammentreffen. Ich habe die Legende über das Ende der Baskakows der Hausherrin und ihren Gästen erzählt, und ein paar Tage später, als die traurige Nachricht aus dem Pamir eintraf, wurde klar, dass das Geschlecht der Baskakows wirklich ausstirbt. Die Mitteilung vom Tod ihres Sohnes brachte Frau Baskakowa fast ins Grab – ihr Herz brach. Sie lag einen Tag und eine Nacht ohne Bewusstsein, wollte sterben, starb aber nicht. Am zweiten Tag stand sie auf, und am dritten schaffte sie es schon in den Garten, wo sie allein bis in die Nacht herumging und weinte. Im Garten wurde sie dann auch gefunden – vom Verwalter Krascheninnikow und seiner Tochter. Die beiden sagten, sie habe auf der Erde gelegen, und ihr Gesicht habe schrecklich ausgesehen: der Mund aufgerissen, die Augen aus den Höhlen getreten. Während sie ins Haus getragen wurde, konnte sie noch zweimal ›Skarpea, Skarpea‹ sagen, dann war sie tot. Nach medizinischem Urteil ist sie eines ganz natürlichen Todes gestorben – an einem Herzanfall, aber trotzdem ist es etwas gruslig. Wenn man aus beruflichem Interesse Legenden über Hexen, Nixen und sonstige böse Geister sammelt, geht einem auf, dass nicht alles nur Aberglaube ist. Wie man so sagt, ohne Feuer kein Rauch … Auf Erden gibt es in der Tat vieles, wovon unsere Schlauköpfe nicht die leiseste Ahnung haben …«
    Petrow stockte, seine unwissenschaftliche Bemerkung war ihm wohl peinlich. Tulpow bewegte konzentriert die Brauen, womit er den Denkprozess stimulieren wollte – die Bewegung griff auf seine abstehenden Ohren über. Als Petrow die wackelnden Ohren des Sekretärs sah, wäre er fast gestolpert.
    Tulpows Schlussfolgerung ergab sich von selbst.
    »Mystik ist da nicht im Spiel. Frau Baskakowa hat einen heruntergefallenen Zweig oder vielleicht einen Gartenschlauch gesehen, hat sich an die Legende erinnert und daran gedacht, dass sie die Letzte ihres Geschlechts ist. Sie hat Angst bekommen, dass dieSchlange sie nun holen will. Ihre Nerven waren angegriffen, dazu das gebrochene Herz, da hat sie das Zeitliche gesegnet, der Himmel sei ihr gnädig. Eine alltägliche Sache, hier gibt es nichts aufzuklären.«
    Petrow stolperte nun doch auf ebenem Weg und hielt sich am Stamm einer Espe fest.
    »Und die Spur?«, fragte er und starrte den Sekretär befremdet an.
    »Was für eine Spur?«
    »Hat Herr Blinow Ihnen das nicht erzählt? Offenbar ist er nicht mehr dazu gekommen. Oder er hatte keine Lust, denn er ist ja unser Materialist. An jenem Abend hatte es geregnet. Darum war auf dem Weg, wo Frau Baskakowa gefunden wurde, noch die Spur im Schlamm zu sehen – als wäre ein Reptil von ungeheuren Ausmaßen dort langgekrochen.« Petrow warf einen Blick auf Tulpows heruntergeklappten Unterkiefer und holte tief Luft. »Das ist doch der springende Punkt. Deshalb die Gerüchte, deshalb die Aufregung. Krascheninnikow hat um die Stelle herum Pflöcke in die Erde gehauen und eine Plane darüber gebreitet, damit die Spur erhalten bleibt. Sie können sich also selbst davon überzeugen.«
     
    2
     
    Er überzeugte sich. Natürlich war im Dunkeln nicht viel zu sehen, doch als der Verwalter das an Pflöcken befestigte Segeltuch hochhob und mit einer Öllampe leuchtete, erkannte Tulpow deutlich einen gewundenen Streifen, wie mit einem Holzscheit in den Boden gezeichnet …
    Aber der Reihe nach.
     
    Das Gutshaus Baskakowka war unversehens vor Tulpows Augen aufgetaucht und wirkte darum etwas ungewöhnlich.
    Der vor ihm gehende Ethnograph hatte plötzlich Zweige auseinandergebogen, und Tulpow sah hinter einem lockeren Karree

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