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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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von Bäumen ein altertümliches weißes Gebäude, dessen Fenster in weichem Licht leuchteten. Das Haus erinnerte ihn an einen japanischen Papierlampion, ähnlich denen, die Fandorin in seinem Arbeitszimmer hatte. Aus der Festbeleuchtung war zu schließen, dass man in Baskakowka nicht früh zu Bett ging. Eigentlich war es ja auch noch nicht Nacht – erst elf Uhr.
    Die Hausherrin nickte Petrow wie einem der Ihren zu und zeigte sich nicht im mindesten verwundert über den Besuch des ungebetenen Gastes. Tulpow hatte den Eindruck, dass die neugebackene Millionärin nach den unwahrscheinlichen Metamorphosen im letzten Monat überhaupt etwas abgestumpft war und verlernt hatte, sich noch über etwas zu wundern.
    Jedenfalls: Als er sich vorstellte und ihr sagte, er sei aus Moskau geschickt, um die Umstände des Ablebens der Gutsbesitzerin Baskakowa aufzuklären, sagte Warwara Iljinitschna nur:
    »Nun ja, wenn Sie geschickt sind, dann klären Sie auf. Samson Stepanowitsch wird Ihnen das Gästezimmer zeigen, wo Sie Ihr Gepäck abstellen können, und dann darf ich Sie auf die Veranda bitten – wir trinken gerade Tee.«
    Samson Stepanowitsch, ein strenger älterer Mann in langer Weste und Stiefeln, war der besagte Verwalter Krascheninnikow, darum befahl ihm Tulpow sogleich, ihn zu der geheimnisvollen Spur zu führen.
    Er sah die Spur, und weiter? Er hockte sich hin und berührte mit dem Finger die angetrockneten, gesprungenen Ränder der flachen Furche, aber für seine Ermittlung brachte das nichts. Eindeutig war nur, dass keine russische Schlange einen solchen Graben, um nicht zu sagen, Canyon, zurückließ.
    »Was denken Sie über diesen erstaunlichen Vorfall, Krascheninnikow?«, fragte Tulpow und blickte zu dem Verwalter hoch.
    Der stand neben dem hockenden Beamten, strich sich den langen russischen Bart und blickte finster.
    Nach einer Weile antwortete er unwillig: »Was soll man da denken? Irgendwas ist hier langgekrochen. So dick wie Ihre Wade, wenn nicht gar Ihr Oberschenkel. Sie sehen ja selber.«
    »Na also«, sagte Tulpow fröhlich und erhob sich. »Da hätten wir die Kennzeichen der Zauber-Skarpea ermittelt: von gleichem Umfang wie der Oberschenkel des Gouvernementsekretärs Tulpow. Wir können sie zur gesamtrussischen Fahndung ausschreiben. Na schön, Samson Stepanowitsch, gehen wir. Was gibt es denn dort zum Tee?«
     
    Zum Tee gab es keineswegs bescheidenen Zwieback, wie der Semstwo-Vorsitzende gesagt hatte, sondern so köstliche Näschereien, dass Tulpow, ein großes Leckermaul, zeitweise sogar seine Aufgabe vergaß – er kostete vom Aprikosenkonfekt, von der weißen Schweizer Schokolade (auf dem Kusnezki Most in Moskau kostete eine Tafel anderthalb Rubel), von der Treibhaus-Ananas, von den Revaler kandierten Früchten. Dieser märchenhafte Überfluss entsprach so wenig den altersschwachen Möbeln und den akkuraten Stopfstellen der Tischdecke, dass Tulpow mittels Deduktion mühelos die finanziellen Umstände der neuen Gutsbesitzerin einschätzen konnte. Sie war zwar eine reiche Frau, aber vorerst eher in der Perspektive als in der Wirklichkeit, denn die Parzellen waren noch nicht verkauft und die Millionen noch nicht eingenommen. Dennoch gewährten ihr die hiesigen Geldsäcke, künftige Goldströme vorausahnend, einen großzügigen Kredit, den sie zu ihrem Vergnügen nutzte.
    Zwei der mutmaßlichen Kreditgeber, Papachin und Machmetschin, saßen mit am Tisch, beim Samowar.
    Ersterer blinzelte mit lachlustigen Augen und schlürfte Tee aus der Untertasse. Er trug einen erstklassigen Anzug aus englischemTweed, in der Krawatte blinkte eine Perle, und die gepflegten Finger, die ein Stückchen Zucker zu den roten Lippen führten, waren sichtlich keine schwere Arbeit gewöhnt. Als der Geschäftsmann beim Gestikulieren allerdings seine rechte Handfläche sehen ließ, erspähte der scharfsichtige Tulpow darauf eine Schwiele, deren Herkunft er jedoch sogleich darauf zurückführte, dass Papachin dem neumodischen britischen Spiel Lawn-Tennis frönte. Woraus folgte, dass er nicht aus Rückständigkeit seinen Tee schlürfte und dabei an einem Stückchen Zucker saugte, sondern dass eine Absicht dahintersteckte, vielleicht gar eine Herausforderung: Ich bitte um Nachsicht, ich bin nicht adlig, nicht blaublütig, sondern von einfacher Herkunft. Darum trage ich die Haare rundgeschnitten und einen besenförmigen Bart. Ein Mann mit Charakter.
    Der zweite einheimische Krösus, der dem Gouvernementsekretär als Rafik

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