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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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fast richtig, das war das einzige, worauf Tulpow in dieser Geschichte stolz sein konnte. Krascheninnikow war tatsächlich übergeschnappt und hatte sich für den Sklaven der Skarpea gehalten. Bei der Deduktion hatte sich Tulpow nur in einem geirrt: Die gigantische Schlange entstammte nicht der kranken Phantasie des Verwalters, sondern der Realität. Aber darauf konnte ein normaler Mensch nicht kommen.
    Nun wurde auch verständlich, warum Krascheninnikow den Verstand verloren hatte. Wenn man einem solchen Ungeheuer begegnet und noch dazu die Legende von Baskakowka kennt, muss man ja durchdrehen. Wenn selbst hartgesottene Männer in Ohnmacht fallen …
    Der Dorftrottel, dem Tulpow am Abend zuvor begegnet war, hatte das Riesenreptil sicherlich auch gesehen, war aber aus Dummheit und mangelnder Phantasie nicht im mindesten erschrocken, im Gegenteil, er freute sich über den spaßigen Pumpenschwengel und wollte ihn fangen. Der gottesfürchtige Verwalter hingegen hatte einen Heidenschreck bekommen und war zumVerehrer der Schlange geworden wie die Söhne Israels, die der ehernen Schlange Nehusthan geräuchert hatten. Er hatte das widerliche Tier gefüttert, gezähmt und wohl sogar in seinem »Kabinett« gehalten, nur manchmal zu Spaziergängen hinausgelassen, bis er schließlich selbst das Opfer seiner kriechenden Gebieterin geworden war.
    Im Wächterhäuschen fanden sie einen Sack mit Mäusen und Fröschen, an der Schwelle stand eine große Schüssel, in der noch etwas Milch war, und in der Jackentasche des Toten steckte eine Rohrflöte – wohl um das Sumpftier anzulocken. Angelina hatte die Flöte nie zuvor bei ihrem Vater gesehen.
    Tulpow befragte das vom Kummer niedergedrückte Mädchen unter vier Augen und schrieb selbst das Protokoll. Erstens tat ihm die Ärmste leid, und zweitens sollte keiner von seinem Schwächeanfall erfahren, das wäre seiner Autorität abträglich gewesen. Als der Arzt mit der Obduktion fertig war, legten sie den Leichnam auf einen einfachen Leiterwagen, und Angelina brachte ihren unglückseligen Vater ins Dorf. Aber die Bauern würden wohl kaum zulassen, dass der Hexer auf dem Friedhof beerdigt wurde. Ach, die Ärmste. Wo sollte sie jetzt hin?
    Nachdem die Zeugin seiner Schmach gegangen war, flunkerte Tulpow seinen Kollegen vor, er habe die Skarpea am Schwanz packen wollen, aber die Teufelswurst sei ihm entflutscht und davongekrochen.
    Was die Schlange gegen Krascheninnikow, ihren Wohltäter, erzürnt hatte, blieb im Dunkel. Vielleicht war er ihr mit seiner Fürsorge lästig geworden. Oder hatte er sie zu selten frei gelassen? Wie auch immer, die Skarpea hatte ihm ihre todbringenden Zähne in den Hals geschlagen.
    Hier entspann sich zwischen Tulpow, dem Polizeichef und dem Arzt ein wissenschaftlicher Disput, welcher biologischen Gattung das rätselhafte Lebewesen zuzuordnen sei.
    Der Arzt vermutete, dass es am ehesten eine Vipera berus sei, die unter besonderen Umständen enorme Ausmaße annehmen könne. Er habe gelesen, dass vor einiger Zeit in Italien Bauern eine Giftschlange gefangen hätten, die anderthalb mal so lang wie ein Mensch gewesen sei. Tulpows Behauptung, die Skarpea sei mindestens viereinhalb Meter lang gewesen, nahm der Mediziner skeptisch auf und erlaubte sich sogar eine Anspielung in dem Sinne, dass die Angst große Augen habe.
    Der Polizeichef bezweifelte, dass es eine Viper war. Tulpow konnte sich gut an die Musterung der Schlangenhaut erinnern – schwarz mit gelben Zickzacklinien, aber solche Schlangen hatte es im Faulen Moor noch nie gegeben.
    Am Abend, als sie auf den Seelenfrieden der Schlangenopfer und auf die Lösung des Falls Wacholderschnaps tranken, entwickelte Tulpow einen Plan durchgreifender Maßnahmen: die gesamte Polizei des Kreises mobilisieren, einen Aufruf an die ansässige Bevölkerung richten und das Moor feinmaschig durchkämmen. Das Ungeheuer hatte sich sicherlich dort verkrochen. Wo sollte es sonst hin? Man musste es suchen und fangen, und wenn es nicht lebendig zu packen war, vernichten. Dann könnte auch der biologische Streit beigelegt werden, und es würde sich zeigen, ob Tulpows Angst wirklich so große Augen hatte (ein giftiger Seitenhieb gegen den Arzt).
    Die Mittrinker unterstützten die Idee des Gouvernementsekretärs einmütig. Den nächsten Tag wollten sie für Vorbereitungen nutzen, und übermorgen bei Sonnenaufgang sollte die Hetzjagd losgehen.
     
    Die Expedition geriet nicht so monumental, wie Tulpow es sich ausgemalt hatte. Zwei

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