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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Mädchen. Sie zog die feingeschwungenen Brauen zusammen, sagte aber nichts. Einen Moment zögerte sie, dann warf sie sich ein Tuch über und führte Tulpow auf einem schmalen Pfad an einer Wiese entlang, vorbei an Johannisbeergebüsch und durcheinen Apfelgarten. Die Äpfel waren schon reif und strebten der Erde entgegen. An einem saftprallen Apfel stieß sich Tulpow schmerzhaft die Stirn.
    »Da ist das ›Kabinett‹«, sagte Angelina und zeigte mit dem Finger.
    Direkt am Teich stand eine Hütte mit einem Fensterchen. Drinnen, hinter einer Baumwollgardine, brannte Licht.
    Tulpow hätte gern durch eine Ritze gespäht, aber das war ihm vor dem Mädchen peinlich. Er klopfte kurz, pro forma, und drückte rasch die Tür auf. Gar zu gern hätte er Krascheninnikow bei einer ihn entlarvenden Beschäftigung ertappt.
    Zuerst sah er eine Petroleumlampe auf einem Brettertisch, eine Reiseflasche in einer wildledernen Hülle und ein Schnapsglas und dann erst den Verwalter. Der saß zusammengesunken auf dem Stuhl, mit zurückgeworfenem Kopf. Gekleidet war er in etwas Weites, Sackartiges, das an einen gemusterten asiatischen Chalat 2 erinnerte.
    Angelina stieß hinter Tulpow einen gellenden Schrei aus, schubste ihn zur Seite und stürzte zu ihrem Vater. Doch bevor sie bei ihm war, warf sie die Arme hoch und sank zu Boden – ohnmächtig.
    Da konnte man auch das Bewusstsein verlieren. Das Gesicht des Verwalters sah gruslig aus – blau angelaufen und gedunsen, und am Hals, seitlich vom Bart, waren zwei schwarze Punkte, aus denen Blut tropfte.
    Tulpow war froh, dass das Mädchen nicht bei Besinnung war. Sonst hätte er sie trösten, ihr Wasser einflößen müssen, aber er hatte jetzt anderes zu tun: den Tatort besichtigen, nach Spuren suchen, Messungen vornehmen.
    Er streckte die Hand nach dem Adamsapfel des Toten aus, um zu fühlen, ob er bereits erkaltet war.
    Da bemerkte er, dass sich der weite Chalat eigenartig bewegte. Er sah genauer hin.
    Das war überhaupt kein Chalat, sondern eine Schlange von ungeheuren Ausmaßen, die sich um den Leichnam gewickelt hatte. Sie hob den vorn sich verjüngenden Kopf mit den funkelnden Achatäuglein und riss den abscheulichen Rachen mit den beiden spitzen Zähnen auf.
    Dem Gouvernementsekretär wurde schlecht. Er machte eine lasche Handbewegung in Richtung Skarpea, als wollte er sagen: Sprich nicht mit menschlicher Stimme zu mir, ich glaube dir sowieso nicht, dann sank er zur Seite. Bevor die Augen unter die Stirn rollten, glitten sie über den dunklen Fußboden, über die Spinngewebe, und Tulpow trennte sich vorübergehend von seinem Bewusstsein, das ihm den Gehorsam aufkündigte.
     
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    Das Beschämendste war, dass die Tochter des Verwalters noch vor dem erfahrenen Ermittler wieder zu sich kam und Mühe hatte, ihn ins Leben zurückzuholen. Sie rieb ihm die Ohren, bespritzte ihn mit Wasser aus dem Zuber, dabei war sie selbst in Tränen aufgelöst, klapperte mit den Zähnen und betete. Als Tulpow endlich die Augen aufschlug und begriff, wo er war, was sich zugetragen hatte und warum das schöne Mädchen weinte, war das entsetzliche Reptil verschwunden, sicherlich durch die offene Tür hinausgekrochen.
    Zuerst war Tulpow gewillt anzunehmen, dass es gar keine Skarpea gegeben und dass die angegriffenen Nerven ihm den aufgerissenen Schlangenschlund nur vorgegaukelt hatten, aber Angelina hatte das kriechende Ungeheuer auch gesehen, außerdem waren da noch die Bissspuren am Hals des unglückseligen Verwalters.
    Am nächsten Morgen kehrte Tulpow mit einer Ermittlungsgruppe aus dem Amtsbezirk zurück; der Semstwo-Arzt obduzierteden Verwalter und stellte fest, dass dieser an einer Atemlähmung gestorben war, hervorgerufen durch ein Gift, das dem Provinz-Äskulap unbekannt war. Die Ungenauigkeit des Befundes war nicht verwunderlich – der Arzt machte einen betrunkenen Eindruck und hielt sich nicht sehr sicher auf den Beinen. Bloß gut, dass er sich mit dem Skalpell keinen Finger abschnippelte.
    Na ja, so ist das eben auf dem Land.
    Gegen Mittag war das Bild der Verbrechen von Baskakowka mehr oder weniger klar. Der Gouvernementsekretär legte in einem ausführlichen Bericht an den Chef die objektiven Fakten und die eigenen Schlussfolgerungen dar, fügte wieder Kopien der Ermittlungsprotokolle bei, und ein Sonderkurier der Polizei ritt nach Moskau, in die Kleine Nikitskaja-Straße, um dem Kollegienrat Fandorin die wichtige Sendung persönlich auszuhändigen.
    Die ursprüngliche Version erwies sich als

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