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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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so, wie zeremonielle Rechenschaftslegungen dieser Art immer verlaufen, das heißt, sie erinnerte an ein langweiliges und feierliches Ballett in der Art von Adams »Giselle«.
    Anfangs führte der Staatsanwalt des Obergerichtshofs sein Adagio aus und beklagte die erschreckende Statistik schwerer Verbrechen im »Weißsteinernen« Moskau – in den letzten drei Monaten sieben Morde.
    Dann legten der Oberpolizeimeister und der Leiter des Kriminalamts einen heiteren Pas de deux hin: Ja, die Morde hätten zugenommen, seien aber alle aufgeklärt worden, und für den maroden Zustand der Gesellschaft seien die Polizeiorgane nicht verantwortlich.
    Seine Erlaucht der Generalgouverneur entschlummerte schon beim Bericht des Staatsanwalts. Bei der Rede des Oberpolizeimeisters ließ er den Kopf mit der zur Seite gerutschten Perücke auf die Brust sinken, und als der Oberst vom Kriminalamt sprach, schnarchte er bereits. Der Generalgouverneur war alt, er hatte kürzlich die Achtzig überschritten.
    Als der Chef des Moskauer Kriminalamts, ein vollblütiger Mann mit sonorer Stimme, im Eifer zu laut wurde, schmatzte der Fürst im Schlaf beunruhigt mit den Lippen. Sogleich schaute ein Greis in posamentenverzierter Livree hinter der Portiere hervor und drohte dem Obersten mit dem Finger. Es war der persönliche Kammerdiener Seiner Erlaucht, der allmächtige Frol Wedistschew. DerOberst wechselte sofort vom kraftvollen forte ins leiseste piano, und die folgenden Teilnehmer der Beratung äußerten sich fast flüsternd.
    Fandorin hatte sich absichtlich ans Fenster gesetzt. Er sah, wie Equipagen über die Twerskaja rollten, wie Apriltropfen auf das Fenstersims prasselten, wie frische Wölkchen am Himmel trieben. Die Reden waren für den Herrn Staatsrat ohne Interesse. Über die Fakten war er ohnehin unterrichtet, und die Meinungen konnte er fast wörtlich voraussagen. Nur während der Rede des Oberpolizeimeisters Schubert wandte er den Kopf und hörte etwas genauer hin, aber nicht wegen des Inhalts, sondern wegen des Redners selbst. Der war erst kürzlich nach Moskau versetzt worden und verdiente genauere Betrachtung.
    Mit Sicherheit ließ sich über Schubert bislang nur eines sagen: ein weltmännischer, umgänglicher Mann. Doch das geübte Auge Fandorins, der in seinem Beamtenleben schon etliche Oberpolizeimeister erlebt hatte, konstatierte sofort, dass der Neuernannte sich nicht lange halten würde. Es war zu spüren, dass er aalglatt war und einen festen Charakter vermissen ließ. Mit solchen Eigenschaften konnte einer in Petersburg Karriere machen, aber nicht in Moskau.
    Nachdem Fandorin eine Weile Schubert beobachtet hatte, gähnte er leicht und wandte sich wieder dem Fenster zu.
    Alles ging den gewohnten Gang. Auch der Fürst enttäuschte seine Untergebenen nicht, die immer wieder eine verblüffende Eigenschaft Seiner Erlaucht bestaunten: Genau in dem Moment, da der letzte Redner verstummte, erwachte der Fürst. Er zwang die Augenlider auseinander, warf einen forschen Blick in den weißmarmornen Saal und sagte in vorwurfsvollem Ton den obligatorischen Satz: »Tja, meine Herren, Sie müssen sich mehr ins Zeug legen. Es liegt vieles im Argen. Aber Gott ist gnädig. Ich danke allen. Sie können gehen.«
     
    Im Korridor trat der Oberpolizeimeister zu Fandorin, der als Letzter herauskam, und sagte mit gewinnendem Lächeln: »Erast Petrowitsch, Sie haben vergangenen Sonntag die Jagd versäumt, wirklich schade.«
    Es ging um die große Gouverneursjagd, mit der traditionell die Frühjahrssaison eröffnet wurde. An dem diesjährigen April-Ausflug hatte die gesamte Hautevolee Moskaus teilgenommen, aber Fandorin verschmähte solche Vergnügungen.
    »Ich mag das nicht«, sagte er. »Wozu lebende G-Geschöpfe töten, die mir nichts getan haben?«
    »Ich weiß Ihre originellen Ansichten zu schätzen.« Seine Exzellenz lächelte noch freundlicher. »Aber ich bedaure Ihr Fernbleiben nicht wegen der Birkhühner und Auerhähne. Haben Sie nicht von dem Unglück gehört?«
    »Fürst Borowski? Ja, man hat mir davon e-erzählt. Unabsichtliche Tötung aus Fahrlässigkeit, oder?«
    Der Oberpolizeimeister beugte sich vor und senkte die Stimme: »Unabsichtlich?«
    »Gibt es daran Zweifel?«
    Schubert fasste den Staatsrat unter und führte ihn zur Fensterbank.
    »Aus diesem Grund wollte ich Sie sprechen … Wissen Sie, es haben sich Umstände ergeben … Um nicht Ihre Zeit zu vergeuden, machen wir es so: Sie erzählen, was Sie über Borowskis Tod wissen, und ich

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