Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Kohle. Als ob man auf einer Wolke schwebt, alles ringsum versinkt in wohligem Nebel.« Der Mörder saß im Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, und wippte mit dem bestickten Hausschuh. Er versuchte gar nicht den Eindruck zu erwecken, als hätte ihn das Vorgefallene erschüttert. »Was soll man machen? Pech gehabt. Fatum, Schicksal. Im letzten Winter hat Graf Wrede auf der großfürstlichen Jagd den Gardekavalleristen Saltykow genauso durchlöchert. Nicht gelesen? Der Graf wurde zu einer Kirchenbuße verurteilt. Ich werde natürlich auch Buße tun.« Kulebjakinbekreuzigte sich schwungvoll. »Ich werde Dreizentnerkerzen aufstellen. Und ich tu noch mehr, mein Wort als Ehrenmann. Wie ich hörte, hatte der Verstorbene, obwohl er Graf war, kein großes Einkommen. Ich werde der Witwe als Entschädigung für das tragische Missgeschick zwanzig- bis dreißigtausend anbieten. Was meinen Sie, nimmt sie das Geld? Ich denke, unbedingt. Freilich, aristokratische Hochnäsigkeit und all so was, aber Sie müssen zugeben, das ist ein hübsches Sümmchen. In ihrer Lage mäklig zu sein, ist nicht …«
Hier unterbrach Fandorin ihn mitten im Satz: »Es gibt einen Augenzeugen, der gesehen hat, wie Sie gezielt auf den Kopf des Fürsten geschossen haben.«
Der Staatsrat verschränkte die Hände und beobachtete die Reaktion des Gesprächspartners.
Kulebjakin schluckte, blinzelte, hörte auf, mit dem Fuß zu wippen, und richtete sich im Sessel auf.
»Einen Augenzeugen?«, fragte er. »Das kann nicht sein.«
Er ist beunruhigt, aber nicht sehr, musste Fandorin feststellen.
»Zehn Schritt links von Ihnen stand hinter einem B-Baum ein
Jäger.«
Der Verdächtige lehnte sich wieder zurück und winkte unbekümmert ab.
»Na, ein großes Tier. Ihr Jäger hat im Suff Gespenster gesehen. Oder ihm ist zu Ohren gekommen, dass ich reich bin, und er will mich erpressen. Da hat er sich ja was ausgedacht! Weshalb sollte ich einem Menschen, den ich kaum kenne, absichtlich zwei Schrotladungen in den Kopf schießen?«
Darauf wusste der Staatsrat keine Antwort.
Nach den ersten Erkundigungen, die Fandorin über Afanassi Kulebjakin eingeholt hatte, war ein Verbrechen aus Leidenschaft wenig wahrscheinlich. Das passte nicht zu ihm. Nicht, dass er den Freuden des Fleisches abhold gewesen wäre, ganz im Gegenteil,aber er zog der heißblütigen Liebe die käufliche vor und hatte allem Anschein nach höchst zynische Ansichten über das schöne Geschlecht. Solche Männer töten nicht aus Eifersucht oder aus Rache für die verletzte Ehre einer Frau.
So erbrachte die Begegnung am Springbrunnen nichts Brauchbares für die Ermittlung.
Außer einem vielleicht: Fandorin hatte die feste Überzeugung gewonnen, dass Kulebjakin, anders als der Jäger, log. Den Fürsten hatte er nicht zufällig getötet, sondern vorsätzlich, mit kühlem Kopf.
Aber wirklich, weshalb?
Wann tötet ein Mensch mit Vorbedacht einen anderen? Der verstorbene Xaveri Gruschin, Fandorins erster Lehrmeister in Kriminalangelegenheiten, pflegte zu sagen: Entweder ist Leidenschaft im Spiel oder Habgier oder Rache oder Gefahr. Aber so sehr Fandorin auch suchte, er konnte keines der vier Grundmotive auch nur ansatzweise finden.
Es gibt zuweilen Ausgeburten, denen der Vorgang des Tötens Vergnügen bereitet, besonders wenn eine Chance besteht, straflos davonzukommen. Zu dieser psychischen Abnormität neigen zwei Typen von Menschen: solche, die im Krieg viel Blut vergossen haben, oder solche, die von klein auf krankhafte Freude an Quälereien empfinden. Kulebjakin aber war nicht im Krieg gewesen, hatte noch nicht einmal gedient. Außerdem hatte die Petersburger Polizei auf Fandorins detaillierte, nach Punkten gegliederte Anfrage mitgeteilt, dass der junge Mann nie sadistische Neigungen erkennen ließ. Zwar war er den Justizorganen gut bekannt, denn er hatte wiederholt randaliert, ungedeckte Wechsel unterschrieben und in Schuldhaft gesessen. Doch hatte er keine Prostituierten ausgepeitscht, die Dienerschaft nicht geschlagen und war nie zuvor in Unglücksfälle mit tödlichem Ausgang verwickelt gewesen. Der Petersburger Ermittler, ein alter Kollege Fandorins, hatte sogarehemalige Mitgymnasiasten Kulebjakins befragt: Nein, der hatte als Junge keine Katzen gequält, keine Hunde aufgehängt, keine Ratten gebraten. Ja, er war ungezogen und verlogen gewesen und hatte in der vierten Klasse den Zeichenlehrer am Stuhl festgeklebt. Aber durch pathologische Grausamkeit war er nie aufgefallen.
Fandorin kam
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