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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gefällt mir nicht«, klagte der Kammerdiener auf japanisch, behielt aber die Mütze auf. »Mir ist heiß, und ich bedaure sehr, meinen Fächer nicht mitgenommen zu haben.«
    Er tröstete sich, indem er einen Fruchtbonbon aus der Tasche holte und einen traurigen siebzehnsilbigen Dreizeiler verfasste:
     
    An Hitze sterben
    Inmitten Eis und Schnee
    Ist eine Höllenqual.
     
    Das Flussbett wand sich wie eine weiße Schlange zwischen den bewaldeten Ufern hindurch. Die mit schmelzendem Eis überzogenen Äste sahen gläsern aus, und als aus den düsteren Wolken für einen Moment die Sonne hervorlugte, funkelte alles ringsum in bunten Glitzerlichtern, als schaukelten die Anhängsel eines gewaltigen Kristalllüsters.
    Der für alles Schöne empfängliche Japaner reagierte sogleich mit einem Fünfzeiler aus einunddreißig Silben:
     
    Ich fuhr zur Hölle,
    Um die Schönheit zu schauen,
    Die im Paradies nicht ist.
    Gibt’s auf dieser Welt
    Erlesnere Satori?
     
    Kryshow ließ sich zu dem bunten Geflimmer so vernehmen: »Verdammtes Licht. Die Augen tun einem weh.«
     
    Bis zu der ersten Siedlung der Altgläubigen, dem großen Dorf Denisjewo, waren es auf der zugefrorenen Wyga fünfzig Werst. Sie waren von Stershenez noch bei Dunkelheit aufgebrochen, und gegen Mittag hatten sie zwei Drittel des Wegs zurückgelegt.
    Ohne den Expeditionsleiter zu fragen, verkündete Kryshow plötzlich: »Rast.«
    Und lenkte das Pferd zum Ufer.
    Schnell, ohne überflüssige Bewegungen, schlug er Äste ab und entzündete ein Feuerchen. Man trank Tee mit Rum aus dem Gemeinschaftskessel,dazu verzehrte jeder seins: der Statistiker wenig appetitliche Käsebrote, sein Gehilfe Kryshow kaute braune Fetzen gedörrten Elchfleischs, und Fandorin und Masa aßen Reisröllchen mit rohem Fisch.
    Nach dem Essen rauchten alle: Kryshow würzigen Machorka, Kochanowski eine Papirossa, Fandorin eine Zigarre und Masa ein beinernes japanisches Pfeifchen.
    Und dabei entspann sich zum ersten Mal etwas wie ein Geplauder.
    »Weshalb fahren Sie eigentlich mit?« erkundigte sich der ehemalige Verbannte bei Fandorin. »Neugier auf unsere Mohikaner? Oder dienstlich?«
    »Neugier.«
    Seltsam, doch die bündige und nicht sehr höfliche Antwort schien dem groben Kryshow zu gefallen. Vielleicht weil sie ehrlich war?
    Die zweite Frage war überraschend.
    »Welches ist Ihre Religion?«
    »Keine. Jede.«
    »Pantheist, wie?« Kryshow lachte auf. »Mir egal. Ich glaube nicht an den lieben Gott. Gefragt habe ich, weil ich Ihnen einen Rat geben will. Wenn Sie jede Religion annehmen können, seien Sie doch mal eine Zeitlang Altgläubiger. Nicht allzu fromm, wie in der Stadt üblich, aber Sie können ja sagen, Sie stammten aus einer altgläubigen Familie. Andernfalls kommt bei Ihrer Reise nichts Vernünftiges raus. Mit einem ›Tabakraucher‹, der sich mit drei Fingern bekreuzigt, redet hier keiner. Also lassen Sie Ihre Zigarren stecken, und wenn wir in ein Dorf fahren, bekreuzigen Sie sich mit zwei Fingern und nicht mit der Prise. Können Sie das? Nein, nicht so! Mittel- und Zeigefinger genügt nicht, Sie müssen auch noch die übrigen drei zusammenlegen, zur Dreifaltigkeit. So.« Er machte es vor.
    Der Rat war nicht dumm. Fandorin stieß das letzte Rauchwölkchen aus und hieß Masa, die Rauchutensilien ganz unten im Koffer zu verwahren.
    »Warum reden denn die Hiesigen mit Ihnen?« fragte Fandorin. »Sie spielen doch nicht den Raskolnik?«
    »Bei mir ist das was anderes. Ich bin Verbannter, also habe ich aus ihrer Sicht unterm Zaren gelitten. Darum vertrauen sie mir und nehmen mir nicht mal den Machorka übel.«
    »Ich mag die Altgläubigen unheimlich gern«, rief Kochanowski, der sich ständig für etwas begeistern musste. »Das ist echtes, urrussisches Christentum. Und es geht nicht um die Bräuche, sondern um den Geist. Die russische orthodoxe Kirche ist wie ein Departement der Regierung, sie dient nicht so sehr Gott wie dem Kaiser. Doch was ist das für ein christlicher Glaube, wenn die Kaiser ihn fördern? Die Altgläubigen aber halten sich vom Staat fern. Nur so – nackt, verfolgt, ohne Heilige – muss der wahre Glaube sein! Der lebt nicht in prunkvollen Tempeln, nicht in Bischofspalästen, sondern in den Seelen. Die hiesigen Einwohner haben keine Popen, sie halten selber Gottesdienste ab, bei sich zu Hause. Die freie Wahl und das Einstehen für eigene Überzeugungen – das ist Altgläubigkeit!«
    Kryshow verzog das Gesicht.
    »Denkfaulheit, Aberglauben und stumpfe bäurische

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