Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
lassen.«
Der Dicke drehte sich um, sah die Menschen und rief kläglich: »Gute Leute, helft uns ziehen! So ein Unglück! Das Pferd ist im Wasser! Der Schlitten! Die Sachen! Der Fuchspelz!«
Es war ein Priester, noch dazu von hohem Rang, zu urteilen nach dem schweren vergoldeten Kreuz, dem feistwangigen Gesicht und der teuren Wollkutte. Der andere hatte sich auch umgedreht und sperrte den Mund auf. Er war noch ganz jung, hatte ein spärliches weizenblondes Bärtchen und riesengroße abgetragene Filzstiefel an den Füßen.
»Diakon, du Holzkopf, nicht loslassen!«, fuhr ihn der Dicke an und stieß ihm die Faust in den Rücken. »Ziehen, ziehen! Helft, Rechtgläubige!«
Fandorin wollte aussteigen, aber Kryshow hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.
»Wann seid ihr eingebrochen?«, fragte er ruhig.
»Vor einer halben Stunde wohl«, antwortete der Diakon flink und musterte die Unbekannten neugierig.
Aus dem zweiten Schlitten sprang wehklagend Kochanowski.
»Vater Vikenti! Mein Gott, was ist passiert? Ach, ach! Ihr Herren, wir müssen doch helfen! Das ist unser Dechant, Vater Vikenti! Lew Sokratowitsch, Erast Petrowitsch, packen Sie mit an!«
»Zwecklos«, versetzte Kryshow. »Das Pferd ist längst ertrunken, und den Schlitten kriegen wir nicht raus. Du kannst die Zügel loslassen, Diakon.«
Der junge Hilfsgeistliche gehorchte gern. Der Zügel glitt ins Wasser.
Der Dechant ächzte.
»Da unten ist doch meine Truhe! Der Ornat, die Wäsche aus Ziegenwolle, die Hemden! Und der Pelz, der Pelz! Mir war zu warm, da hab ich ihn ausgezogen! Du bist schuld, Warnawa!« Er drohte ihm. »Wohin hast du gelenkt, du ausgekaute Schote? Jetzt tauche gefälligst und hol das Zeug hoch!«
Warnawa schniefte und wich zurück. Er mochte nicht ins eiskalte Wasser.
»Das kann er nicht«, sagte Kryshow. »Hier ist ein Strudel, und am Grund entspringt eine Quelle. Darum war das Eis angetaut. Wer auf dem Fluss fährt, sollte ein Gefühl für das Eis haben … Nun gut, meine Herren, es ist Zeit. Wir müssen noch bei Tageslicht bis Denisjewo.«
Er zog das Pferd am Zügel weg von der gefährlichen Stelle.
»Warten Sie!«, heulte Vater Vikenti. »Und wir? Was wird mit uns? Ohne Fahrzeug, ohne warme Sachen!«
Aber Kryshow blieb fest.
»Halb so schlimm. Bis zum Dorf sind es zwölf Werst, es herrscht kein Frost. Das ist zu schaffen. Ihr lauft euch warm.«
»Sie versündigen sich!« Der Dechant erregte sich immer mehr. »Eine Missachtung von geistlichen Würdenträgern! Ich versage Ihnen das Abendmahl!«
»Hü, los!«, rief Kryshow dem ruhig stehenden Pferd zu. »Was soll mir Ihr Abendmahl? Ich bin Atheist. Herr Kochanowski ist auch kein Kirchgänger. Kusnezow ist Altgläubiger. Und sein Asiat wird wohl eher einen Hammel oder ein Kamel anbeten.«
Doch der humane Kochanowski kam dem Geistlichen zu Hilfe.
»Was hat das mit Religion zu tun? Wir dürfen die Menschen in ihrer Not nicht im Stich lassen. Wir können ja zusammenrücken.«
»Sie haben in der statistischen Kommission zu bestimmen.« Kryshow blieb hart. »Doch hier draußen hören Sie lieber auf mich. Wir dürfen die Pferde nicht überlasten, sonst gehen sie kaputt. Wir müssen mit ihnen noch hoch zum Oberlauf.«
Auch Kochanowski gab nicht nach. Es entspann sich eine Diskussion, begleitet von mal kläglichen, mal entrüsteten Rufen des Dechants. Der Diakon sagte nichts. Er zog die Nase hoch und blickte von einem zum anderen. Im Gegensatz zu Vater Vikenti schien ihn die Aussicht auf einen Zwölf-Werst-Spaziergang nicht zu schrecken.
»Gut! Dann schlage ich vor, die Frage demokratisch zu entscheiden!«, sagte Kochanowski. »Ich denke, Sie als progressiver Mensch werden beipflichten. Stimmen wir ab: Nehmen wir sie mit oder nicht?«
»Ich bin dafür!«, rief der Dechant sofort.
»Die Kirche ist gegen das allgemeine Wahlrecht«, erinnerte ihn Kryshow. »Also dürfen die heiligen Väter nicht mit abstimmen. Ich bin dagegen.«
»Iss auch!«, unterstützte Masa ihn entschlossen. »Das Pferd ist ein Lebewesen, ssade drum. Diese Mann ist zu dick.« Er zeigte auf Vater Vikenti.
»Nicht dick, beleibt«, sagte der beleidigt. »Ach, ihr Herren Demokraten, wie unchristlich, dass ihr dem schlitzäugigen Heiden Wahlrechte zugesteht und einem alteingesessenen Russen nicht. Und euch sollen wir Mütterchen Russland anvertrauen!« Er streckte die Hände nach Fandorin aus. »Sie sind meine einzige Hoffnung! Zwar hängen Sie dem alten Glauben an, doch wir lieben denselben
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