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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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gestanzt wurde.
    Die amerikanische Zivilisation verfügt noch über eine weitere großartige Erfindung: den Bildungstourismus. Ausgerüstet mit einem Voucher von Cook, einem Sprachführer, einer Gummibadewanne und Desinfizierungstabletten, stürmen wissbegierige Yankeesdie Ausläufer der Anden, die Vorberge des Kilimandscharo und die australischen Wüsten. Der Tourist E. P. Kusnezow begab sich auf eine nicht minder exotische, doch wesentlich komfortablere Reise: mit der Eisenbahn von Petersburg über Jaroslawl nach Wologda, von dort mit dem Schlitten auf der glatten Poststraße, mit einem warmen Bärenfell zugedeckt, in die Kreisstadt Stershenez, nun, und wie es dann weiterging, würde der Vorsitzende der dortigen Statistikkommission entscheiden, an den der Reisende einen Empfehlungsbrief dabeihatte.
     
    Don Quijote von Stershenez
     
    Aber die Empfehlung (sie kam von dem Freund, der zu den
gut unterrichteten Personen
gehörte), wurde gar nicht benötigt. Der oberste Statistiker des Kreises freute sich über den Mann aus der Hauptstadt so sehr, dass er den Brief nicht mal ansah.
    Aloisi Stepanowitsch Kochanowski war selbst erst vor Jahresfrist von Petersburg in die nördliche Einöde gekommen – freiwillig, auf Geheiß seines Herzens. Er war noch sehr jung, zitierte unentwegt Nekrassow 3 und glaubte fest daran, dass die Semstwo-Verwaltung ausersehen sei, Russland umzugestalten.
    Die Stadt Stershenez war sehr klein, war eigentlich nur ein mittleres Dorf. Sie hatte kein einziges Steingebäude, selbst die Kirche war aus Holz gebaut.
    Als Fandorin jedoch bei Kochanowski saß und zuhörte, wie der die revolutionäre Bedeutung der Volkszählung in leuchtenden Farben malte, wurde er sich vollends bewusst, dass er in Massachusetts hinter dem Leben zurückgeblieben war und seine Vorstellungen von der Heimat eiligst revidieren musste.
    »Die Zählung ist der erste Schritt zur Zivilisierung nicht nur einer Schicht der Gesellschaft, sondern des ganzen Volkes!«, sagte der Statistiker feurig und fuchtelte mit dem Teelöffel. »Russland ist ja wahrlich ein gewaltiges Land mit unbegrenzten Möglichkeiten. Wie könnte man sich hier entfalten, wenn man die Arbeit nicht scheut! In welchem anderen Staat würde man einem Mann meines Alters eine so ungeheure Aufgabe anvertrauen? Unser Landkreis ist größer als Belgien. Von einem Ende zum anderen fünfhundert Werst. Aber, wie es so schön heißt, die Augen fürchten, aber die Hände machen. Wir werden sie zählen, alle! Die Bauern, die Heiden, die Mönche in den Einsiedeleien! Jeden Menschen! Verlassen Sie sich darauf. Die Entfernungen sind natürlich enorm, hinzu kommt die höllische Wegelosigkeit, aber wir schaffen es, wenn wir es gescheit anfangen. Alle Dörfer liegen an Flussufern, und ich muss Ihnen sagen, das ist klug ersonnen. Im Sommer fährt man mit dem Boot hin, und im Winter gleitet der Schlitten übers Eis wie über Öl!«
    Der Enthusiast und seine junge Frau, die ihm verzaubert zuhörte, waren erfreulich anzuschauen. Fandorin betrachtete fast liebevoll Aloisi Kochanowski, der – mager, langschlaksig und spitzbärtig – Don Alonso Quijano zum Verwechseln ähnlich sah, nur dass er einen Kneifer trug.
    »Und was ist mit den Altgläubigen?«, fragte er vorsichtig. »Werden sie keine Sch-Schwierigkeiten machen?«
    »Doch.« Der Stershenezer Hidalgo verfinsterte sich etwas. »Das ist ein großes Problem. Morgen will ich die Wyga hinauf, die mündet ins Weiße Meer, bei Ust-Wyshsk. Aber ich fahre nicht flussabwärts, sondern stromauf. Alle unsere Altgläubigen leben dort … Im Dezember war ich schon einmal da, doch ohne großen Erfolg, nun muss ich noch mal hin.« Er zupfte verdrossen an seinem Spitzbart, ergab sich jedoch nicht lange dem Missmut, sondern wurde wieder lebhaft. »Ach, was leben dort für Menschen! Goldene Herzen! ›Als Sklave gerettet, die Freiheit so hold, des Volkes Herz ist reines Gold!‹ Richtige Helden wie aus den Bylinen 4 – sie heißen Pereswet, Osljab, Mikula Seljanowitsch.« Kochanowski lächelte verlegen. »Für die bin ich freilich so was wie der Drache Tugarin. Keinen einzigen Zählhelfer konnte ich gewinnen. Aber diesmal bin ich auf alles vorbereitet, Sie werden sehen. Sie sagten doch, Sie wollen mich begleiten?«
    »Wenn Sie e-erlauben.« Fandorin verbeugte sich. »Ich und mein Diener. Er wird Sie nicht belasten, ganz im Gegenteil.«
    »Ja, gewiss, freut mich sehr. Ich würde auch Sonetschka mitnehmen, sie wünscht es sich so.« Der

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