Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Sturheit. Lieber krepieren sie, als frischen Wind in ihr armseliges Leben hereinzulassen. Denken Sie an meine Worte, wir werden wegen der Zählung noch Brandgeruch erleben.«
    »Was denn für B-Brandgeruch?«, fragte Fandorin.
    »Wenn die Altgläubigen sich selbst verbrennen. Wie zu Zeiten des Protopopen Awwakum. In den hiesigen Wäldern und Einsiedeleien sind mehr als tausend Menschen zu Gebet und Gesang lebendig verbrannt. Im achtzehnten Jahrhundert und unter Nikolaus dem Knüppelzaren, als der gegen die Altgläubigen vorging. Die alten Männerund Frauen erinnern sich noch daran. Ich komme ja viel durch die Dörfer und höre die Gespräche. Für die Altgläubigen tragen die Zählbögen das Siegel des Antichristen. Wissen Sie, was die sagen? Der Böse zählt vor dem Weltende die Bauernseelen, damit keine einzige sich retten kann. Geistesgestörte ziehen umher und wiegeln das Volk auf. Der eine ruft die Leute auf, sich selbst zu verbrennen, der andere, sich lebendig zu begraben, und die Wohlmeinendsten empfehlen das
Totfasten
, das heißt, Selbstmord durch Hunger.«
    »Na, so weit wird’s nicht kommen.« Kochanowski machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sie reden und beruhigen sich wieder. Ich fürchte nur, sie verpatzen die Zählung.«
    »Gewiss beruhigen sie sich wieder«, versetzte Kryshow mit sichtlichem Bedauern. »Ohne einen Funken fängt nicht mal dürres Reisig Feuer. Ach, wenn es doch damals, als wir idiotischerweise ins Volk gingen, ein solches Geschenk der Behörden gegeben hätte – wir hätten die Bauern schon aufgerüttelt! So aber sind alle ganz umsonst zugrunde gegangen, und was waren für Leute dabei! Allein Sergej Gennadjewitsch 5 war so viel wert wie alle heutigen Sozialdemokraten …«
    »Wer, wer?« fragte Kochanowski verwundert, und Fandorin sah den einstigen Verbannten mit neuem Interesse an.
    Die Frage blieb jedoch unbeantwortet; Kryshow ging nicht sehr höflich mit seinem Chef um.
    Er wechselte das Thema und fragte Herrn Kusnezow, ob der nicht zufällig in Moskau gewesen sei, als dort auf dem Chodynskoje-Feld massenhaft Menschen zertrampelt worden waren. Und als er vernahm, dass der Befragte dort gewesen sei und alles mit eigenen Augen gesehen habe, erkundigte er sich wissensdurstig nach Einzelheiten. 6
     
    Fandorin antwortete widerwillig, er hatte quälende Erinnerungen an das Ereignis, aber Kryshow ließ nicht locker und sagte wiederholt: »Gut so! Wirklich gut so!«
    »Erl-lauben Sie mal, was soll daran gut sein?«, fragte er schließlich gereizt. »Anderthalb tausend Tote und mehrere tausend Verletzte!«
    »Ein weiteres Leck im Narrenschiff. Bald geht es unter«, fuhr Kryshow ihm über den Mund, und diese menschenverachtende Äußerung verstörte den obersten Statistiker dermaßen, dass er mit den kurzsichtigen hellen Augen klapperte und gänzlich unpassend auf das Wetter zu sprechen kam.
    »Was ist das hier für ein sonderbares Klima! Tausend Werst nördlich von Moskau und zehn Grad wärmer! So was von mild, und das schon seit einer Woche! Mir haben Alteingesessene erzählt, einen solchen Januar habe es nicht gegeben seit achtzehnhundert …«
    »Es ist Zeit, fahren wir«, unterbrach ihn Kryshow und stand auf. »Das verdammte Tauwetter kommt sehr zur Unzeit. Auf dem Fluss, wo die Quellen entspringen, ist das Eis schon angetaut. Ich sehe ja, wohin ich fahre, doch wenn einer betrunken fährt oder nicht Bescheid weiß, bricht er ein.«
    Er hatte das Unheil heraufbeschworen, der böse Mann.
     
    Das Unglück
     
    Der Fluss wurde schmaler, umfloss einen Felsvorsprung, dann traten die Ufer wieder auseinander. Das zottige Pferdchen sauste um die Biegung und prallte schnaubend zur Seite – Fandorin konnte sich gerade noch am Schlitten festhalten, doch Masa flog kopfüber in den Schnee.
    Das Bild, das sich den Reisenden bot, war erschreckend und im ersten Moment unbegreiflich, ja absurd.
    Direkt unterhalb des Felsvorsprungs gähnte im Eis ein großes Loch, in dem dunkles Wasser wallte. Daneben stand ein langer hagerer Mann in Schwarz und zerrte aus Leibeskräften an einem Zügel aus derbem Leinen, dessen Ende im Wasser verschwand. Hinter ihm stand ein zweiter, ebenso gekleidet, doch kleiner und sehr dick, der zog den Langen am Gürtel. Fandorin fühlte sich an das Märchen von der kleinen Rübe erinnert, nur fehlten hier die Enkelin wie auch die Katze mit der Maus. Der vielerfahrene Kryshow war sofort im Bilde.
    »Ach, diese langschößigen Dummköpfe! Haben Pferd und Schlitten einbrechen

Weitere Kostenlose Bücher