Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen
Christus!«
»Richtig, meine Herren, f-fahren wir. Wir haben schon viel Zeit verloren«, sagte Fandorin versöhnlich. »Um die Pferde nicht zuüberanstrengen, fahren wir umschichtig. Sie, heiliger Vater, steigen in unsern Schlitten, und Sie, Vater Diakon, setzen sich in den zweiten. Kommen Sie unter die Decke, wärmen Sie sich auf. Ich gehe nebenher, und so nach zwei Werst wechseln wir uns ab.«
»Das nenne ich wahre Nächstenliebe«, sagte der Dechant fast zu Tränen gerührt, schlüpfte unter das Bärenfell und rief sogleich in verändertem Ton: »Worauf warten wir? Fahrt los!«
Noch waren keine zehn Minuten verstrichen, da bereute Fandorin, der neben dem Schlitten ging, seine Nächstenliebe schon bitterlich. Solange Vater Vikenti darüber klagte, wie schwer das geistliche Wirken in einem Landkreis sei, in dem es fast keine Rechtgläubigen, sondern nur Altgläubige gebe, ließ es sich ertragen und war sogar lehrreich. Als der Vertreter der herrschenden Kirche jedoch warm geworden war, kam ihm eine glänzende Idee: Da sein Zuhörer nicht weglaufen konnte, warum ihn nicht missionieren, eine Ketzerseele retten?
Auf den widerspenstigen Kryshow wollte er sein Pulver nicht verschießen, also knöpfte er sich Fandorin vor, den er für das schwächste Glied in der Kette der Andersgläubigen und Atheisten halten mochte.
»Wie ist Ihr Vor- und Vatersname? Von welchen Altgläubigen stammen Sie ab?«, fragte er einschmeichelnd. »Sie sehen nicht wie die Unseren aus.«
»Erast Petrowitsch. Ich komme aus M-Moskau«, antwortete Fandorin, dann fiel ihm ein, dass die Altgläubigen in der alten Hauptstadt ein eigenes Wohnviertel hatten, und fügte hinzu: »Aus der Rogosher Vorstadt.«
»Aha, aus Moskau. Ich hör’s an der derben Aussprache, die klingt, als ob ein Hund bellt. Die Rogosher Altgläubigen, anders als die hiesigen, erkennen die Geistlichen an und haben einen eigenen Bischof. Respekt vor der Obrigkeit ist löblich, das ist schonder halbe Glaube. An Ihrem Gesicht und Ihren Manieren, liebenswürdiger Erast Petrowitsch, sehe ich, dass Sie ein Mann der Bücher und der Aufklärung sind. Wie kommt es, dass Sie das Bekreuzigen mit drei Fingern ablehnen? Steht nicht schwarz auf weiß geschrieben: ›Hierzu möge er die ersten drei Finger seiner rechten Hand zusammenlegen, nach dem Bilde der Heiligen Dreifaltigkeit‹? Und dann möchte ich Sie mit Ihrer Erlaubnis nach dem Patriarchen Nikon fragen, der für Ihre Glaubensbrüder schlimmer als der Teufel ist. Hat dieser Mann nicht eine gewaltige staatliche Aufgabe gelöst, als er alle Kirchen byzantinischen Ursprungs wiedervereinigte und unter das Moskauer Dach führte? Müssen nicht wir Slawen dankbar …«
Masa, den der wohlbeleibte Vater Vikenti völlig an den Rand des Schlittens drängte, hielt es nicht aus und sagte auf japanisch: »Setzen Sie sich auf meinen Platz, Herr. Ich will mir die Beine vertreten.« Er stieg flink aus und ließ den zweiten Schlitten herankommen.
Der Kommentar des Geistlichen klang so: »Das Ohr des Heiden kann die fromme Rede nicht ertragen. Noch etwas, worüber Sie mal nachdenken sollten. Wenn dem Nichtchristen meine Worte das Herz beklemmen, sind sie auch dem Teufel zuwider. Und das bedeutet nach den Gesetzen der Logik, dass sie Gott wohlgefällig sind. Also urteilen Sie als gescheiter Mann: Wenn meine Worte Gott wohlgefällig sind, müssen sie wahr sein … Aber ich sehe Zweifel in Ihrem Blick?«
»Nein, nein. Ich muss nur Herrn Kochanowski ein paar Worte sagen«, murmelte Fandorin und blieb ebenfalls stehen, bis der zweite Schlitten heran war.
Hier drehte sich das Gespräch ebenfalls um Göttliches.
»Diese Schönheit, diese Schönheit!«, rief der Diakon begeistert. »Was sind das für Menschen, die nicht an Gott glauben? Ich habe Bilder von berühmten Malern gesehen. Wirklich sehr hübsch,nichts dagegen zu sagen. Aber was sind ihre Gemälde, selbst die von Herrn Aiwasowski 7 , gegen das hier?« Er wies mit der Hand auf die Ufer, den Fluss, den Himmel. »Eine kleine Pfütze gegen den Ozean.«
»Das ist wahr, das haben Sie schön gesagt!«, gestand Kochanowski.
»Gewiss ist es wahr.« Warnawa stimmte mit klingendem Tenor den 24. Psalm an: »Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist; der Erdboden und was darauf wohnet. Denn er hat ihn an die Meere gegründet und an den Wassern bereitet.«
Masa wollte zurück zum ersten Schlitten. Aber in der Eile und da er die Filzstiefel nicht gewohnt war, strauchelte er und konnte sich gerade
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