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Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen

Titel: Das Geheimnis der Jadekette - Fandorin ermittelt Kriminalerzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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Statistiker sah seine Frau zärtlich an. »Aber es geht nicht. Die Altgläubigen würden es nicht gutheißen.«
    Die bebrillte Sonetschka mit dem kurzen Haarschnitt, die eine Papyrossa nach der anderen rauchte, wäre den Altgläubigen in der Tat ein Gräuel, das bedurfte keiner Erklärung.
    »Was für einen Grund haben Sie zu der Hoffnung, dass Ihre zweite Reise mehr Erfolg hat?«, fragte Fandorin.
    »Zwei Gründe, beide hundertprozentig«, antwortete Kochanowski stolz. »Erstens habe ich im Gouvernement Aktenmappen bekommen, um sie den Zählhelfern auszuhändigen. Nichts Besonderes, aus Kaliko, aber eine Aktentasche, das ist schon was für einen Bauern! Von diesem Stimulus erhoffe ich mir viel. Und zweitens wird mich ein Mann begleiten, der mit den Bauern zu reden versteht. Lew Sokratowitsch Kryshow, ein Verbannter, zeitweilig als Gehilfe des Vorsitzenden der Statistikkommission eingesetzt. Eine außergewöhnliche, wundervolle Persönlichkeit!«
     
    Auf dem Fluss
     
    Dass Kryshow eine außergewöhnliche Persönlichkeit war, sah man sofort: wettergegerbtes männliches Gesicht, ruhig blickende Augen, die lässige Leichtigkeit, mit der er die beiden Fuhrwerke lenkte – das vordere, in dem er selber saß, und das hintere, in dem Kochanowski reiste mitsamt seinen Aktentaschen, Tintenfässern, Zählbogen und dem sonstigen Bürokram. Mit dem störrischen hellbraunen Pferdchen war der Kreisstatistiker nicht zurechtgekommen, darum hatte Kryshow ihm nach zwei Werst Fahrt die Zügel abgenommen und hinten an seinen Schlitten gebunden. Erstaunlicherweise hatte sich das Tier sogleich beruhigt und trabte nun bereitwillig hinterdrein, so dass die Zügel nicht mal spannten. Tiere spüren sofort, bei wem sie bocken können und bei wem besser nicht. Bei Kryshow offenbar nicht.
    Als »wundervoll« empfand Fandorin den Gehilfen des Vorsitzenden freilich nicht. Da Kochanowskis Fahrzeug überlastet war, saßen der »Tourist« und sein Diener im vorderen Schlitten, so dass Fandorin den Mann aus nächster Nähe betrachten konnte.
    Kryshow mochte die fünfzig überschritten haben. Er sah wie ein gewöhnlicher Bauer aus: kurzer Schafpelz mit Stoffgürtel, Filzstiefel, ländlich ungepflegter grauer Vollbart, derbe Hände mit abgebrochenen Fingernägeln. Aber er kehrte das Bäurische nicht besonders hervor, sprach wie ein Hauptstädter. Und seine Haltung zum gottesfürchtigen Volk war ohne das verbreitete intellektuelle Gesabber. Auf die Frage, wie er die Altgläubigen überreden wolle, sich der Zählung nicht zu widersetzen, spuckte Kryshow tabakbraunen Speichel aus.
    »›Überreden‹! Wer diese Leute überreden will, macht alles nur schlimmer. Gehörig einschüchtern werde ich sie: Wenn ihr euch sträubt, kommen die Kosaken und zählen euch mit Gewalt. Zwar haben sie noch nie Kosaken gesehen, in unserm Gouvernementgibt es keine, doch umso mehr Angst haben sie vor ihnen. Die Bauern sind dumm und wie die Wilden, man muss sie am Kragen zum Licht zerren und mit dem Knüppel nachhelfen.« Er peitschte das kräftige zottige Pferd, für das der Schlitten mit den drei Insassen offenbar keine Last war, zog an der Selbstgedrehten und spuckte wieder aus.
    Ansonsten schwieg Kryshow lieber und versuchte nicht, sich beliebt zu machen. Auf Fandorin und Masa hatte er nur ganz am Anfang einen einzigen sehr aufmerksamen Blick geworfen, danach drehte er sich nicht mehr zu ihnen um. Mit dem Wort »wundervoll« hatte Kochanowski also schöngefärbt.
     
    Es war ein unfreundlicher, nasser, ungewöhnlich warmer Tag. Der Schlitten sauste über den zusammengebackenen Schnee wie über eine glatte Landstraße. Bei der Abfahrt in den Norden hatte sich Fandorin auf Fröste eingerichtet, und jetzt war Tauwetter. Das Reisethermometer zeigte plus vier Grad, von den Zweigen tropfte es, und unter dem Schnee kam da und dort schönes grünliches Eis zum Vorschein.
    Der Japaner, der zwei Garnituren wollene Unterwäsche, eine Wattehose, Filzstiefel mit Galoschen und einen Wolfspelz angezogen und eine Fuchspelzmütze mit Ohrenklappen aufgesetzt hatte, war schweißgebadet. Endlich hielt er es nicht mehr aus, nahm die Mütze ab und hielt den kurzgeschorenen Kopf in den Fahrtwind.
    Kryshow, der zwar nicht nach hinten schaute und doch alles zu sehen schien, fuhr herum, riss Masa die Pelzmütze aus der Hand, stülpte sie ihm auf den Kopf und knurrte: »Sagen Sie Ihrem Kalmücken, so erkältet er sich seinen dummen Kopf. Auf dem Fluss geht das ganz schnell.«
    »Herr, dieser Mensch

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