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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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erleichtert, dass sie an der freien Luft
reisen durfte und die Welt nicht durch Vorhänge ausgesperrt
wurde, denn dies hätte ihren Eindruck verstärkt, eine
Gefangene zu sein. Vor allem aber freute es sie, nicht in die Sänfte
von Rong Yingxiong steigen zu müssen und sein Gesicht ständig
vor sich zu haben.
         Das
Tor des Rundbaus wurde geöffnet. Yazi hörte zahllose
Stimmen, die Abschiedsworte murmelten und ihr Glück wünschten.
Sie hielt den Blick gesenkt, denn sie wollte jenen Menschen, die
immer Teil ihres Lebens gewesen waren, nicht als bitteres,
unglückliches Mädchen in Erinnerung bleiben. Nur eine ganz
leise Stimme in ihrem Kopf nannte sie alle Verräter.
         Es
ging hinaus, den Hügel hinab und an Reisfeldern vorbei. Yazi war
nun zu benommen, um die vertrauten Bilder als Erinnerung in ihr
Gedächtnis zu graben. Das Rauschen war stärker geworden,
obwohl immer noch kein Wind blies. Sie schüttelte sich, um ihren
Kopf von diesem Geräusch zu befreien, das aus ihrem Inneren zu
kommen schien. Dicht hinter ihr hörte sie plötzlich ein
lautes Bellen und sah sich staunend um.
         Es
war der Hund, dem sie mehrfach das Leben gerettet hatte. Mit langen
Sätzen sprang er ihr hinterher, richtete seine braunen Augen
treuherzig auf ihr Gesicht. Yazi versteinerte. Schmerz und Wut rissen
ihr Herz entzwei. Sie begriff erst in diesem Moment, wie sehr sie
diesen Hund liebte, der Schuld an ihrem Schicksal trug. Sie wollte
ihn mitnehmen. Und gleichzeitig erwürgen.
         »Den
Köter will unser Herr sicher nicht haben«, meinte einer
der berittenen Begleiter.
         »Dann
verjag ihn«, sagte Yazi nur, denn sie wusste, dass es besser so
war. Sie hatte leise gesprochen, doch wurde sie trotzdem verstanden.
Eine Rute sauste auf den Hund hinab, der winselnd zurückblieb.
Yazi presste eine Hand vor ihren Mund, um ein Wimmern zu
unterdrücken, denn sie meinte, die Schläge der Rute auf
ihrem Rücken zu spüren.

    ******

         Sie
zogen bis zur Abenddämmerung durch eine Landschaft aus Hügeln,
Wiesen und Feldern. Schließlich tauchte eine größere
Siedlung auf, wo in einem Wirtshaus Halt gemacht wurde. Zum ersten
Mal in ihrem Leben erhielt Yazi ein eigenes Zimmer mit einer schmalen
Schlafstätte, auf der eine Bambusmatte, Decken und Kissen lagen.
Tee und ein Abendessen wurden hereingetragen, das sie einsam
verzehrte, um den nagenden Hunger zu stillen. Sie fragte sich, wie
sie eine Nacht ohne die Atemzüge vertrauter Menschen überstehen
sollte. Die Einsamkeit ließ die leisesten Geräusche
ohrenbetäubend werden, unheimlich wie das Flüstern von
Geisterstimmen. Yazi erstarrte für eine Weile auf dem Bett,
fühlte sich von unsichtbaren Augen beobachtet und fürchtete,
mit jeder Bewegung eine überirdische, bedrohliche Erscheinung
anzulocken. Dann schüttelte sie die Furcht entschlossen ab und
schob das benutzte Essgeschirr in eine Ecke neben der Tür, wo
die Bedienstete es schneller holen konnte. Die neugierigen Blicke
dieses Mädchens, das kaum älter sein konnte als sie selbst,
waren ihr unangenehm gewesen. Sie wollte auch nicht hinausgehen und
um eine Schüssel Wasser bitten, sondern zog nur ihre Schuhe aus,
um sich auf dem Bett auszustrecken. Ihre Augen fielen zu, doch
schoben sich die Gesichter ihrer Familie unter ihre Lider und lösten
eine Enge in ihrem Brustkorb aus, die es unmöglich machte
einzuschlafen.
         Es
erleichterte sie beinahe, Schritte zu vernehmen, die sie von dem
einsamen Starren ins Dunkel erlösten. Die Tür öffnete
sich knarrend und Yazi fuhr vor Schreck zusammen, als sie das schmale
Gesicht ihres Gemahls im Schein einer Laterne erblickte, die er
schweigend hineintrug.
         Sie
war davon ausgegangen, dass irgendeine Zeremonie stattfinden würde,
bevor er nachts ihr Lager teilte, wie es unter Eheleuten üblich
war. Doch musste es wohl so sein, wie Hiun gesagt hatte. Sie war
nicht die offizielle Ehefrau, sondern etwas anderes, mit dem sie
keine klare Vorstellung verband, weil es dies in ihrem Dorf nicht
gab. Das Lied mit dem Hut und dem Schirm fiel ihr wieder ein. Wozu
brauchte ein Mann mehr als eine Frau?
         Rong
Yingxiong hatte die Laterne auf den Tisch gestellt. Nun saß er
am äußersten Ende des Bettes und starrte den Boden an.
Seine Haltung war so steif, dass Yazi sich fragte, ob er umfallen
würde wie eine Holzfigur, wenn sie ihn anstieß.
         Erst
nach einer endlosen Zeit des Schweigens wandte er ihr sein Gesicht
zu. Das linke Auge zuckte nun

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