Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
ebenso heftig wie nach dem
vermeintlichen Angriff des Hundes. Furcht lag in dem Blick des
Jünglings, was Yazi ein wenig beruhigte, denn falls er sich
ebenso vor dem Bevorstehenden ängstigte wie sie selbst, konnten
sie es vielleicht einfach unterlassen.
Mit
heiserer Stimme flüsterte er ein unverständliches Wort.
Yazi sah ihn nur ratlos an, dann fiel ihr ein, dass sie nicht einmal
in der Lage waren, miteinander zu reden.
Er
stieß ein nervöses Kichern aus, als sei ihm dies soeben
auch bewusst geworden. Dann hielt er Yazi seine linke Handfläche
hin und malte mit dem Zeigefinger der anderen Hand ein Zeichen
darauf. Yazi ahnte, welchem Zweck dies dienen sollte, fragte sich
aber, wie er auf die Idee kam, dass ein gewöhnliches Dorfmädchen
lesen konnte. Sie hob nur die Hände, um ihrer Unfähigkeit
Ausdruck zu verleihen.
Wieder
schien Rong Yingxiong das Problem sehr schnell zu erfassen. »Wǒ
de míngzì jiào Yīngxióng«,
sprach er langsam und deutlich, wobei er auf seine Person deutete.
Yazi begriff, dass er ihren Namen wissen wollte, der ihm doch bereits
einmal genannt worden war.
»Apa«,
sagte sie, denn so war sie von ihren Eltern immer gerufen worden.
Dann fiel ihr ein, dass auf der Teetasse, die sie vor Kurzem benutzt
hatte, die Umrisse einer Ente gezeichnet gewesen waren. Sie holte die
Tasse, wies auf das Bild und anschließend auf ihre Nase.
Der
Fremdling gluckste kichernd. Das Lachen verwandelte ihn in einen
harmlosen Jungen, der Yazi an ihre Brüder erinnerte, als sie
noch klein gewesen waren. Sie entspannte sich ebenfalls, denn sie sah
keinen Grund mehr, ihn zu fürchten.
Dann
streckte er seine Hand in ihre Richtung aus und nannte jenen Namen,
den sie für den Rest ihres Lebens tragen sollte: Yazi. Denn so
hieß eine Ente in der Sprache der Gelehrten.
Scheinbar
ermutigt durch das gemeinsame Lachen sank Yingxiong nun auf das Bett.
Yazis Nackenhaare stellten sich auf. Für einen Augenblick hatte
sie tatsächlich vergessen, aus welchem Grund sie beide in diesem
kleinen Raum gefangen waren. Ihre Blicke trafen sich und der
Bräutigam streckte ihr zögernd die Hand entgegen. Wie fein
seine Finger doch waren, frei von Narben und Schwielen, die sie
bisher an allen Männerhänden gesehen hatte. In seinem
langen seidenen Gewand schien er zu zart, zu verletzlich, um eine
Bedrohung darzustellen. In der Überzeugung, sich jeder
unerwünschten Annäherung erwehren zu können, legte
Yazi sich schließlich an seine Seite.
Sie
waren so weit voneinander entfernt, wie die schmale Bettstatt es nur
zuließ. Yazi hörte seine Atemzüge, die von
gelegentlichem Hüsteln unterbrochen wurden. Er verströmte
den Geruch von Reisschnaps. Ganz langsam wagte er es, seinen Kopf an
ihre Schulter zu lehnen, bevor er mit leichtem Zucken in den Schlaf
sank. Sie hob ihre Hand, ließ sie eine Weile ratlos in der Luft
schweben, bevor sie einmal kurz über den kahl geschorenen
Schädel strich. Yazi war trotz allem froh darüber, einen
menschlichen Körper an ihrer Seite zu spüren, der ihr
helfen konnte, Eindringlinge aus der Geisterwelt abzuwehren.
******
In
der Morgendämmerung wurde die Reise fortgesetzt. Yazi erhielt
tatsächlich eine Sänfte, wenn auch in gedämpfteren
Farben und ohne Goldverzierung an den Vorhängen. Ihr Wunsch,
lieber weiter auf dem Pony zu sitzen, wurde von den Begleitern ihres
Gemahls sogleich abgewehrt, ohne auch nur übersetzt zu werden.
Die Ehefrau eines hohen Herrn zeige sich nicht in der Öffentlichkeit,
kam es knapp und barsch zurück.
Yazi
fielen die Worte ihres Vaters wieder ein. Hatte sie tatsächlich
einen Mann geheiratet, der sie einsperren würde? Aber Rong
Yingxiong schien so sanftmütig, so um Freundlichkeit bemüht,
dass sie sich vor jeglicher Tyrannei in Sicherheit wähnte.
Sobald sie in der Lage wäre, sich mit ihm zu unterhalten, konnte
sie ihm einfach selbst ihre Wünsche klarmachen, und die
berittenen Männer würden nichts mehr ausrichten können.
Sie
folgten einer Straße, die sich durchs hügelige Gelände
schlängelte. Yazi schob immer wieder die Vorhänge der
Sänfte zurück und versuchte, die Reiter in ein Gespräch
zu verwickeln, denn mit ihrem Lebensmut erwachte auch Neugier, wohin
die Reise eigentlich ging. Nanjing, so wurde ihr mitgeteilt, dort
wohnte die Familie ihres Gemahls. Sie hatten es eilig, denn überall
machten Banditen die Gegend unsicher. Neuerdings scharten sie
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