Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
solche
Feindseligkeit nicht. Der Ehemann suchte keine seiner Frauen auf,
sondern zog mit anderen jungen Männern herum, um schwer
angetrunken in der Morgendämmerung heimzukehren. Die erste
Gemahlin betrank sich abends ebenfalls gemeinsam mit ihrer Dienerin.
Ihr Geplauder und kreischendes Lachen drangen bis spät in die
Nacht durch die dünne Wand. Yazi dämmerte dahin. Sie
vermochte keinen Trost im Reisschnaps zu finden, er ließ sie
nur mit stechenden Kopfschmerzen und ausgetrockneter Kehle erwachen.
Es war ihr tatsächlich verboten, das Haus zu verlassen. Zwar
hatte sie ihren Gemahl um mehr Freiraum gebeten, doch er hatte nur
verlegen gemurmelt, dass er über diese Dinge nicht zu
entscheiden habe. Danach bekam sie ihn kaum mehr zu Gesicht.
Ein
Leben ohne Arbeit hätte für viele Leute ihres Dorfes
paradiesisch geklungen, doch war ihr niemals bewusst geworden, wie
lang die Zeit zwischen Morgengrauen und Abenddämmerung sein
konnte, wenn sie nicht durch die Erledigung von Aufgaben ausgefüllt
wurde. Ratlos beobachtete Yazi die anderen Frauen, die ihr Schicksal
teilten. Yingxiongs Vater hatte mehrere Konkubinen, von denen die
Jüngste kaum älter als zwölf sein konnte. Im Gegensatz
zu seinem Sohn ließ er regelmäßig nach ihnen rufen,
nur die Existenz seiner ersten Frau, deren Haar bereits ergraut war,
schien er völlig vergessen zu haben. Doch tagsüber waren
auch diese Frauen überflüssig, sie stickten, plauderten und
stritten sich in ihrem prächtig eingerichteten Verlies, damit
die Zeit verging. Als Yazi ihre Sprache allmählich beherrschte,
bemühte sie sich Freundschaften zu schließen, doch wurden
ihre Versuche, ein Gespräch zu beginnen, meist sehr schnell
abgewürgt, Einladungen unter einfallsreichen Vorwänden
zurückgewiesen. Manchmal hörte sie spöttisches
Gekicher in ihrem Rücken. Erst ein klärendes Gespräch
mit Laoshu half Yazi, dieses Verhalten zu verstehen. Eine Frau, die
ihr Gemahl niemals zu sich rufen ließ und die keine Kinder
vorweisen konnte, galt in dieser um männliche Aufmerksamkeit
wetteifernden Runde kaum mehr als eine Dienerin. Vor allem, wenn
diese Frau auch noch ausgewachsene Füße und eine dunkle
Gesichtsfarbe hatte, zudem keinen anderen Schmuck besaß als
zwei Silberketten.
»Ein
Mann, der eine Frau liebt, macht ihr teure Geschenke«,
flüsterte das schüchterne Mäuschen mit schuldbewusstem
Blick und trat gleich darauf einen Schritt zurück, als fürchte
sie, allein wegen dieser Worte geschlagen zu werden. Doch Yazis Wut
richtete sich gegen einen ganz anderen Menschen. Manchmal hatte sie
Lust loszulaufen, in diesem großen, prächtigen Gebäude
nach Yingxiong zu suchen und ihn einfach zu fragen, warum er sie
ihren Eltern abgekauft hatte, nur um sie hier lebendig zu begraben
und zu vergessen.
Als
sie jedoch mitbekam, wie eine der Konkubinen des Hausherrn wegen
einiger vermeintlich frecher Worte öffentlich gezüchtigt
wurde, gab sie diesen Plan wieder auf.
Das
Leben wurde zu einem träge dahinplätschernden Strom. Obwohl
Yazi nun täglich Fleisch essen konnte, was als Kind stets ihr
Traum gewesen war, verlor sie jeglichen Appetit. Schließlich
überwand sie sich nur nach längerem Flehen Laoshus,
überhaupt aufzustehen und Kleidung anzulegen. Im Spätherbst,
ungefähr ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft in Nanjing, ließ
sie sich von der Dienerin im sonnenbeschienenen Garten herumführen
und stolperte dabei fast über die Leichname dreier Kätzchen.
Es waren ganz gewöhnliche, getigerte Tiere, weshalb sie
vermutlich zuerst ertränkt und danach wieder aus dem Teich
gefischt worden waren, damit sie das Wasser nicht verschmutzten. Die
Damen des Hauses hielten nur teure Zuchtexemplare in ihren Zimmern.
Yazi beugte sich hinab, erstaunt, wie sehr der Anblick des Todes sie
anzog. Diese Tiere brauchten nicht mehr den Beginn eines weiteren
sinnlosen Tages zu fürchten. Versonnen strich sie über die
starren, aber noch warmen und weichen Körper. Im Hintergrund
mahnte Laoshus Stimme, sichtlich befremdet über das Verhalten
ihrer Herrin, doch Yazi verschloss ihre Ohren. Sie schob eine Hand
unter das kleinste der Kätzchen, um es vorsichtig aufzuheben. Da
regte der Leichnam sich plötzlich, stieß ein feines, kaum
hörbares Wimmern aus.
»Es
lebt«, rief Yazi, fassungslos über dieses Wunder. »Es
ist nicht ertrunken.« Sie presste das winzige Tier an ihre
Brust. Der Tag hatte plötzlich einen Sinn bekommen, denn es war
ihr gelungen, ein
Weitere Kostenlose Bücher