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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Gesicht
hatte keinerlei Freude ausgedrückt, hier mit ungewohntem Aufwand
bewirtet und geehrt zu werden.
         Dennoch
folgte sie den Weisungen ihrer Mutter, zog den schwarzen Rock mit den
schönsten Stickereien an und frisierte ihr Haar zu einem Knoten.
Hiun nahm wie immer den meisten Schmuck der Familie für sich in
Anspruch. Yazi verspürte keinerlei Verlangen, ihr diese Schätze
streitig zu machen, denn die langen, hängenden Ohrringe zerrten
stets an ihren Ohrläppchen und auch die Ketten schienen ihr nur
unnötiges, lästiges Gewicht am Hals.
         Sie
saßen im Mondlicht im Innenhof des Rundbaus. Zwei Männer
spielten auf der Flöte und auf der Ruan, einem Saiteninstrument.
Hiun, die stolz auf ihre helle, klare Stimme war, sang dazu ein altes
Liebeslied:

    Hast
du einen Hut auf dem Kopf,
    so
brauchst du keinen Schirm.
    Mein
Liebster, du hast mich,
    also
schaue nicht nach anderen Mädchen.
    Du
kannst nicht zwei Sorten Wein
    in
einen Becher füllen.
    Es
können nicht zwei Arten von Knospen
    am
selben Baum erblühen.

         Yazi
gefiel die Melodie. Sie genoss den mit Reis gefüllten
Entenbraten, den die Dorffrauen in aller Eile für den Ehrengast
zubereitet hatten, und leerte einen Becher Reiswein. Die feierliche
Stimmung versöhnte sie ein wenig mit dem Fremdling, der sie
ausgelöst hatte. Morgen würde er abreisen und das Leben
konnte wieder seinen gewohnten Lauf nehmen.
         Der
Jüngling schien besserer Laune als bei seiner Ankunft, denn er
plauderte lachend mit seinen Begleitern, schenkte den Dorfbewohnern
aber weiterhin kaum Beachtung. Hiuns neugierige, lockende Blicke
prallten an der Mauer seines Hochmuts ab, was Yazi ein spöttisches
Grinsen entlockte. Für den edlen Herrn aus Nanjing war auch die
Schönheit des Dorfes nur ein unwichtiges Bauernmädchen.
         Hoffentlich
sah Hiun keinen Grund, diesem hochnäsigen Schwächling auch
noch Tränen nachzuweinen, denn sie genoss es meistens, ihre
Umwelt durch heftige Empörung über unerfüllte Wünsche
zu plagen.
         Es
war bereits finstere Nacht, als die Dorffrauen begannen, das Geschirr
abzutragen. Der edle Jüngling musste von seinen Begleitern
gestützt werden, als er den Weg zu seinem Schlafraum antrat,
denn er hatte zu viel Reiswein genossen, um noch selbständig
gehen zu können. Trotz der starken Arme, die ihn hielten, geriet
er ins Torkeln, stolperte und trat gegen einen Stein, der einen der
bereits schlafenden Dorfhunde traf. Es war ein großes,
geflecktes Tier, zuverlässig, aber auch reizbar. Derart in
seiner Ruhe gestört zu werden, brachte ihn dazu, laut bellend
loszustürmen. Der Jüngling begann sogleich zu schreien,
wodurch er den Hund noch mehr in Rage brachte. Yazi sah, wie einer
seiner Begleiter den Dolch zog, um damit dem heranrasenden Hund
entgegenzutreten. Sie erstarrte für einen Moment, legte dann die
leeren Schüsseln zu Boden.
         Als
dieser Hund ein Welpe gewesen war, hatte sie ihn mit Ziegenmilch
aufgezogen, nachdem seine Mutter gestorben war. Vor zwei Jahren war
der Hunger gekommen, nachdem Stürme die Reisernte vernichtet
hatten. Die meisten Hunde des Dorfes waren geschlachtet und verspeist
worden, doch hatte Yazi es geschafft, diesen einen zu retten, indem
sie ihn in einer nahe gelegenen Höhle festband und die
spärlichen Mahlzeiten mit ihm teilte. Ihr Vater war hinter ihr
Geheimnis gekommen, aber er hatte geschwiegen, obwohl der Hunger auch
sein Gesicht immer schmaler und knochiger hatte werden lassen. Sollte
dieses Leben, das sie mit aller Kraft verteidigt hatte, nun wegen
eines panischen, betrunkenen Jünglings vernichtet werden?
         Yazi
lief los, ohne weiter zu überlegen. Sie stellte sich zwischen
den Hund und den Dolch, sprach ein paar beruhigende Worte und sah
erleichtert, wie das aufgebrachte Tier sich zu ihren Füßen
niederlegte und ihre Hand zu lecken begann. Dann drehte sie sich um.
         Der
Dolch war zurück an den Gürtel gesteckt worden. Die
Begleiter des Jünglings tuschelten kichernd. Im Licht des Mondes
sah sie das schmale, nervöse Gesicht des jungen Gelehrten. Sein
linkes Auge zuckte wie die Flügel eines Insekts, das losfliegen
wollte, es aber nicht schaffte. Ihr schien, als sei sie noch niemals
im Leben derart durchdringend angestarrt worden, als wolle jemand
seinen Blick bis in die Tiefen ihres Wesens bohren. Sie verstand
nicht, was ein edler, gebildeter Jüngling wie Rong Yingxiong
dort zu finden hoffte.
         »Unser
junger Herr will den Namen dieser

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