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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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»Gott
gehört allen, die an ihn glauben«, meinte er. »Mir
geht es nur darum, Hong Xiuquan zu verstehen. Er ist klug und
gebildet. Trotzdem fiel er mehrfach durch die Beamtenprüfung,
die ja unglaublich schwer sein soll. Andere bestanden, weil ihre
Familien bessere Kontakte hatten und mehr Geld, um Prüfer zu
bestechen. Das muss bitter für einen so ehrgeizigen Mann gewesen
sein. Da kam auf einmal dieser Traum und kündete an, dass er
eine ganz andere Aufgabe hätte, die ihm Macht und Ansehen
verleihen würde. Er wandte sich gegen ein System, das ihm die
verdiente Anerkennung verweigert hatte. Machte sich zum Herrn über
ein Heer, das dieses Unrechtssystem zerstören sollte.«
         Als
der tiefere Sinn dieser Mutmaßungen in Yazis Kopf allmählich
Formen annahm, schoss sie entsetzt in die Höhe.
         »Du
meinst, er ist ein Heuchler?«, flüsterte sie und lief
gleichzeitig zur Tür, um sich zu versichern, dass niemand
dahinter stand. Es konnte sie den Kopf kosten, Andrews Ausführungen
ohne Widerspruch gelauscht zu haben, und selbst ein Lao Wai würde
für derartige Gotteslästerung sterben. Zum Glück war
es immer noch still im Guan, denn die anderen Soldatinnen streiften
wohl weiter durch die Stadt. Yazi vermochte wieder leichter zu atmen.
Sie setzte sich zu Andrew auf das Bett. Mit einem Mal waren seine
verbotenen Gedanken so berauschend geworden wie der Reisschnaps, den
er ihr einst angeboten hatte. Sie wollte mehr davon.
         »Nein,
ich glaube, ein Heuchler ist er nicht. Das wäre zu einfach«,
beantwortete Andrew nach kurzem Überlegen ihre Frage. »Er
ist auch nicht geisteskrank, wie sein eigener Vater vermutete. Als
ich ihm zum ersten Mal gegenüberstand, konnte ich die Kraft
seiner Überzeugung fast spüren. Würde er nicht
wirklich an seine Bestimmung glauben, hätte er jemals den Mut zu
einer zunächst so aussichtslosen Rebellion gefunden? Doch ist es
eine sehr chinesische Bestimmung. Viele eurer Revolutionäre
meinten, von Göttern abzustammen. Ich glaube, Hong Xiuquan hatte
wirklich diesen Traum. Dann las er einen schlecht übersetzten
christlichen Text und alles passte hervorragend zusammen.«
         Yazi
musterte ihn stirnrunzelnd. Der spöttische Ton seiner letzten
Worte hatte ihr missfallen.
         »Du
glaubst wirklich, dass wir Chinesen euren Glauben nicht verstehen
können«, zischte sie. Wieder kam ein Kopfschütteln.
         »Die
Botschaften der Propheten dieser Welt versteht jeder anders. Man kann
Gutes und Schlechtes aus ihnen herauslesen. Ich hatte hier in Nanjing
auf das Gute gehofft. Deshalb bin ich gekommen.«
         Yazis
Ärger verrauchte und sie sank erschöpft wieder auf die
Matratze, schmiegte sich in Andrews Umarmung.
         »Du
bist enttäuscht worden«, flüsterte sie. »So wie
auch ich. Nach diesem Gemetzel kann es keinen großen Frieden
mehr geben.«
         Andrew
küsste ihre Stirn.
         »Meine
drei Begleiter wollen die Stadt baldmöglichst verlassen. Sie
sind Söldner und einiges an Blutvergießen gewöhnt,
aber heute wurde es ihnen zu viel. Wir beide können gemeinsam
fortgehen. Mit deiner Tochter natürlich«, schlug er vor.
         Das
Glücksgefühl schlängelte sich durch sämtliche
Glieder von Yazis Körper. Sie schloss die Augen. Andrew wollte
sie mit sich nehmen. Eine Weile hoffte sie, den Rest ihres Lebens in
der Wärme seiner Umarmung verbringen zu können, wo es
keinen Schmerz und keine Zurückweisung gab. Dann suchte sie nach
klaren Bildern, wie diese Zukunft aussehen sollte, und nahm nur
verschwommene Umrisse wahr. Sie wusste nichts von der Art, wie Lao
Wai lebten. Bereits im Haus der Rongs war sie eine Fremde gewesen,
doch wie wäre es erst unter Leuten, die so völlig anders
aussahen als sie selbst? Vertraute Gesichter schoben sich unter ihre
Lider. Jene Mädchen, die sie zu Soldatinnen ausbildete, waren
manchmal mit ihren Sorgen und Ängsten zu ihr gekommen, als sei
sie ihre Mutter. Und wie enttäuscht wäre Pofu, die so viel
von ihr hielt, dass sie darauf verzichtet hatte, sie mit angemessener
Härte zu bestrafen, obwohl ihr Pflichtgefühl sonst immer
die Oberhand gewann? Wollte sie all diese Menschen verlassen, obwohl
sie viele Jahre lang zu ihnen gehört hatte?
         »Shi
Dakai wird bald hier sein«, meinte sie nach weiteren
Überlegungen. »Vielleicht kann er Hong Xiuquan in seine
Grenzen weisen und dafür sorgen, dass dieses sinnlose Morden
aufhört.«
         Andrew
nickte zaghaft.
         »Das
Morden

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