Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
über alte, reiche Huren und ihre jungen Liebhaber, da ihr
bewusst wurde, in welch unangenehmer Lage sie sich selbst gerade
befand. Irgendwie musste sie erklären, warum sie ohne Anette
Desmoulins zurückkehrte. Am liebsten hätte sie alles mit
Margaret besprochen, doch nach dem Anfall der alten Dame schien es
ihr selbstsüchtig und verantwortungslos, deren Nerven zu
belasten. Sie musste erzählen, dass sie Anette in der
Menschenmenge verloren hatte und vortäuschen, von deren Treffen
mit Nathan nichts zu wissen.

    ******

         »Missee
Emily Sie erwarten«, meinte die Amah, nachdem sie nach kurzem
Klopfen ihren Kopf in Viktorias Zimmer gesteckt hatte. Dann kam sie
unaufgefordert herein, um eine gefüllte Waschschüssel
abzustellen und die Gaslampe aufzudrehen, denn draußen war es
noch dunkel. Dewei sprang sogleich auf die Beine und warf Viktoria
einen besorgten Blick zu. Sie rieb sich seufzend ihre verquollenen
Augen. Gleich nach ihrer Rückkehr zu den Desmoulins war ein
Suchtrupp losgeschickt worden, der sogar die Dschunken und Sampans am
Hafen nicht verschonte. Im Grunde hatte Viktoria gehofft, so könnte
das entflohene Liebespaar schließlich aufgestöbert werden.
Die herzzerreißenden Weinkrämpfe von Madame Desmoulins,
die ihre Tochter in den Fängen chinesischer Menschenhändler
vermutete, hatten es ihr schwer gemacht, die wahren Umstände
weiter zu verschweigen. Falls Anette bis jetzt nicht aufgetaucht war,
musste sie reden. Dieser Entschluss war das Ergebnis einer
schlaflosen Nacht. Sie hatte sich grübelnd im Bett hin und her
gewälzt, während am Himmel vor dem Fenster das Feuerwerk
tobte.
         Nun
stand sie auf und schüttete sich etwas Wasser ins Gesicht. Die
Amah verschwand wieder im Türrahmen, wobei sie Viktoria einen
letzten Blick zuwarf, der eindeutig feindselig war. Viktoria
beschloss, dem keine Bedeutung beizumessen. Sittenstrengen Frauen war
sie stets ein Dorn im Auge gewesen. Vielleicht wollte Emily sie noch
vor dem Frühstück sprechen, weil Anette aufgetaucht war.
Der Gedanke gab ihr etwas Mut. Rasch schlüpfte sie in ihre
Kleidung, die sie gestern einfach auf den Boden geworfen hatte.
         »Mach
dir keine Sorgen«, meinte sie zu Dewei und strich ihm über
den Kopf. Sein Gesicht erhellte sich nicht. Der Junge hatte in seinem
kurzen Leben ein erstaunliches Gespür für nahende
Katastrophen entwickelt.
         Emily
saß im Esszimmer. Der Duft von Rühreiern ließ
Viktorias Magen gequält knurren. Gestern Abend hatte sie keinen
Bissen heruntergebracht.
         »Nehmen
Sie Platz, Miss Virchow. Sie können gern etwas essen, wenn Sie
wollen. Aber wir müssen reden«, erklang plötzlich die
Stimme von Robert Huntingdon, während die Tür hinter ihm
schwungvoll zufiel. Viktoria folgte dankbar der Aufforderung. Nachdem
sie die Eier mit einer Tasse Tee hinuntergespült hatte, war ihr
ein wenig wohler.
         »Also
nun die Neuigkeiten«, redete der Hausherr weiter. »Anette
hat einen Brief an ihre Eltern geschrieben, der noch in der
vergangenen Nacht von einem unbekannten Boten überbracht wurde.
Darin steht, dass sie nach Hongkong unterwegs ist. Zusammen mit
Nathan Sassoon.«
         Eine
Last glitt von Viktorias Schultern. Nun also war alles geklärt.
Sie hörte Emily theatralisch seufzen und stellte wieder einmal
fest, dass Margarets Schwiegertochter eine missmutige Nervensäge
war.
         »Dann
braucht Madame Desmoulins ja nicht mehr zu befürchten, dass ihre
Tochter in die Sklaverei geraten ist«, meinte sie aufmunternd.
         Robert
Huntingdon unterbrach schlagartig seinen üblichen Lauf durch das
Zimmer.
         »Nein,
das braucht sie nicht«, meinte er nur. »Wir alle wissen
jetzt, wie es war.«
         Sein
zorniger, anklagender Blick ließ Viktoria Übles ahnen. Sie
hob entschlossen den Kopf.
         »Und
wie war es denn?«, fragte sie so unschuldig wie möglich.
         Robert
Huntingdon baute sich wieder als drohender Schatten über dem
Tisch auf.
         »Wie
es war, wissen Sie vermutlich besser als irgendjemand anderer hier«,
donnerte seine Stimme auf Viktoria nieder. »Eine weiße
Frau, die allein mit einem chinesischen Jungen und einem Diener in
der Stadt herumspaziert, fällt auf. Als der Suchtrupp Fragen
stellte, kam die Wahrheit schnell ans Licht. Sie deckten die
heimlichen Zusammenkünfte zwischen Anette und Nathan Sassoon
auf, deren bedauerliches Ergebnis die gestrigen Ereignisse sind. Miss
Virchow, Sie haben sowohl uns als auch die

Weitere Kostenlose Bücher