Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)
Desmoulins aufs
Schändlichste hintergangen.«
Seine
Hand schlug auf die Tischfläche. Tassen und Teller erzitterten.
Viktoria wurde schwindelig.
»Das
stimmt«, gab sie sich widerstandslos geschlagen. »Ich
fand nichts Schlimmes daran, einem Liebespaar zu seinem Glück zu
verhelfen.«
Wieder
seufzte Emily. Robert stieß ein bissiges Lachen aus.
»Mein
Gott, eine wahre Romantikerin! Ich dachte, Sie wären die Tochter
eines Geschäftsmannes. Wo haben Sie ihr bisheriges Leben denn
verbracht? Auf dem Mond?«
Viktoria
zog die Schultern zurück. Niemand hatte jemals in diesem Tonfall
mit ihr geredet.
»Vielleicht
an einem Ort, der Ihnen sehr fremd ist, Mr. Huntingdon. Aber erklären
Sie mir bitte, wie ich Ihnen geschadet haben soll, indem ich zwei
jungen Verliebten heimliche Treffen ermöglichte?«
»Die
Desmoulins gehören zu meinen besten Geschäftspartnern«,
erwiderte der Hausherr in bellendem Ton. »Sie kaufen Kaffee,
Baumwollstoffe und sonstige Waren, die ich aus Europa und Amerika
importieren lasse, für ihren Laden. Dank dieser Familie hatte
ich noch weitere gute Kontakte in der französischen Konzession.
Als meine Angestellte haben Sie durch Ihr Verhalten meinem Ruf als
Geschäftsmann geschadet, Miss Virchow. Ich sehe leider keine
Möglichkeit, Sie weiter zu beschäftigen.«
Den
letzten Satz hatte er etwas leiser gesprochen, als sei ihm klar, dass
ein Brüllen nicht mehr nötig war, um sein störrisches
Gegenüber in die Knie zu zwingen. Viktoria sackte in ihrem Stuhl
zusammen. Ihr Verstand war gelähmt, sie empfand nichts weiter
als den Wunsch, laut um Hilfe zu schreien. Was wurde in diesem
fremden Land aus einer Frau, die keine Arbeit mehr hatte? Die
ausgemergelten Gestalten aus dem chinesischen Stadtteil tauchten vor
ihren Augen auf. Sie krallte ihre Finger in die Lehne des Stuhls, um
einen letzten Rest an Fassung wahren zu können.
»Wenn
dies Ihr Entschluss ist, kann ich wohl nichts daran ändern«,
meinte sie verzweifelt um Gelassenheit bemüht. Trotzdem klang
ihre Stimme belegt.
»Es
ist eine notwendige Folge Ihres Verhaltens, Miss Virchow«,
mischte Emily sich unnötigerweise ins Gespräch. »Die
Wirklichkeit entspricht nicht den Geschichten aus Liebesromanen.«
Zorn
ließ Viktorias Widerspruchsgeist neu erwachen, denn sie hatte
ohnehin nichts mehr zu verlieren.
»Wir
alle tragen durch unser Verhalten dazu bei, die Wirklichkeit zu
gestalten«, meinte sie an Emily gewandt. Den Satz kannte sie
von ihrem Vater. Sie selbst hatte als Kind eine Weile gebraucht, um
seine volle Bedeutung zu verstehen. Doch Emily verstand sofort. Ein
bitterer Zug legte sich um ihren Mund und sie senkte den Kopf.
»Das
ist nicht der Moment für hochgeistige Diskussionen«,
erwiderte Robert stattdessen. »Mir ist klar, in welcher Lage
Sie sich befinden, Miss Virchow. Da ich eine gewisse Mitschuld am
Ruin Ihres Vaters trage, bin ich bereit, Ihnen die Rückreise in
Ihre Heimat zu bezahlen. Und Ihnen ein kleines Startkapital mit auf
den Weg zu geben.«
Viktoria
vermochte etwas ruhiger zu atmen. Eben noch hätte sie diesem
Mann das Gesicht zerkratzen können, doch nun erwies er sich als
unerwartet großzügig. Auch Nathan hatte ihr gestern zum
Abschied eine stattliche Summe überreicht. Sie würde in
Hamburg wieder ein Hotel beziehen und sich in Ruhe um neue Stellen
bewerben können, anstatt sofort im Elend zu versinken. Dennoch
kam keine rechte Erleichterung auf. Dewei würde nun endgültig
ins Waisenhaus müssen. Und sie selbst würde niemals wieder
mit ihm durch Shanghais Straßen bummeln, laute, unverständliche
Theateraufführungen sehen und seltsam riechendes Essen kosten,
von dem ihr inzwischen nicht mehr schlecht wurde.
******
»Aber,
aber, Miss Virchow. Jetzt trinken Sie noch eine Tasse Tee und
beruhigen sich bitte. Die Welt geht nicht so schnell unter, wie man
als junger Mensch glaubt.«
Margaret
lächelte aufmunternd. Viktoria wischte sich beschämt die
Augen trocken. Sie hatte sich vor dem zornigen Robert und der
bitteren Emily beherrschen können, doch Margarets mütterliche
Güte ließ ihre Tränen fließen.
Dewei
strich ihr zaghaft über den Arm.
»Es
ist nicht schlimm im Waisenhaus, das hast du selbst gesagt. Und du,
Vi Ki, kannst wieder nach Hause«, flüsterte er. Viktoria
fuhr auf.
»Aber
ich will nicht fort. Ich will in China
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