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Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Chinesin auf. Viktoria starrte sie fassungslos an, denn
diese Frau schien unbeschreiblich schön mit ihrem kobaltblauen,
zart geschmückten Kopfputz und dem weich fließenden,
bodenlangen Gewand aus türkiser Seide, das mit goldenen Drachen
verziert war. Ihr Gesicht war wie makellos gemeißelter Marmor.
Sie hob nur kurz die Hand, rief etwas in gellendem Chinesisch. Der
Kampfkünstler blickte erschrocken zu ihr hoch, verneigte sich
und rückte seine Maske zurecht, die sein Haar hinter einem
Schleier verbarg. Dann ging die Darbietung weiter und die Chinesin
zog sich wieder zurück.
         »Das
war Shen Akeu, die Besitzerin des Teehauses«, flüsterte
Anette Viktoria aufgeregt ins Ohr. »Ich habe sie schon manchmal
aus der Ferne gesehen. Sie ist sehr reich, hat mehrere solche Häuser
und Spielhöllen und … und noch andere Etablissements in
Shanghai und Hongkong und Peking. Früher, da war sie eine …
eine Professionelle, verstehen Sie?«
         Viktoria
verstand. Sie dachte an die Schauspielerin aus dem Thalia-Theater.
Hatte ihr Vater wegen einer ebenso betörenden Frau sein Vermögen
verschleudert?
         »Nathan
hat mir einmal gesagt, dass sie schon über fünfzig sein
müsste«, plapperte Anette munter weiter. Viktoria
schüttelte ungläubig den Kopf. Die Schönheit dieser
Frau schien dem Alter mühelos zu trotzen.
         Sie
plauderten noch eine Weile über Belanglosigkeiten und verzehrten
einen Teller voller chinesischer Süßspeisen, die ein wenig
wie Salami aussahen. Dann knallten die ersten Feuerwerkskörper.
Viktoria blickte hinaus und erkannte graues Dämmerlicht hinter
all den strahlenden Lampen.
         »Wir
müssen gehen«, mahnte sie Anette. »Ihre Mutter
erwartet Sie zum Abendessen.«
         Entschlossen
stand sie auf. Zwar hätte sie selbst gern mehr von dem Feuerwerk
mitbekommen, doch Anette durfte nicht in Schwierigkeiten geraten. Zu
ihrer Erleichterung folgte das Liebespaar ohne Protest ihrem
Beispiel. Sie traten wieder auf das Gedränge am Bund, der Straße
am Ufer des Huangpu.
         »Ich
verabschiede mich nun«, meinte Nathan mit todernster Stimme.
»Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Hilfe, Miss Virchow,
und wünsche Ihnen viel Glück im Jahr der Wasserziege.«
         Ein
kurzer Händedruck, dann war er fort, ohne ein Wort an Anette
gerichtet zu haben. Viktoria wandte sich besorgt zu der Französin.
Das hatte wie ein endgültiges Lebewohl geklungen, doch Anette
sah nicht im Geringsten verstört aus. Sie holte entschlossen
Luft und fiel Viktoria inmitten all der neugierig spähenden
Chinesen um den Hals.
         »Je
vous remercie de tout coeur. Au revoir«, hauchte sie ihr ins
Ohr. Bevor Viktoria etwas erwidern konnte, war auch Anette von der
Menschenmenge verschluckt worden.
         Einen
Augenblick lang blieb Viktoria fassungslos stehen. Dann sah sie sich
um, tapste ohne klares Ziel vorwärts.
         »Anette«,
versuchte sie das allgemeine Geschrei der feiernden Chinesen zu
übertönen. »Wo sind Sie? Kommen Sie zurück, wir
müssen nach Hause!«
         Sie
wiederholte diese Worte auf Französisch, schließlich auf
Deutsch. Köpfe drehten sich, um herauszufinden, wem die fremde
Frauenstimme gehörte. Doch alle Gesichter, die um Viktoria
auftauchten, waren chinesisch.
         Nachdem
sie sich eine Weile durch das Getümmel gekämpft hatten,
zupfte Dewei sie plötzlich am Ärmel.
         »Vi
Ki, die sind weg. Die wollten sich schon die ganze Zeit
verabschieden. Hast du es nicht gemerkt?«
         Viktoria
fuhr zusammen, als die Erkenntnis sie niederschmetterte.
         »Wir
müssen sie finden«, rief sie entschlossen. »Anette
bekommt einen Riesenärger, wenn sie nicht rechtzeitig daheim
ist.«
         Das
Herz hämmerte ihr in den Ohren. Sie ballte ihre Hände zu
Fäusten und spürte Schweiß auf deren Innenflächen.
Welchen Wahnsinn hatte sie selbst die ganze Zeit unterstützt?
         »Aber
sie wollen nicht gefunden werden«, widersprach Dewei. »Meine
älteste Schwester lief weg, als sie verkauft werden sollte.
Niemand konnte sie finden, weil sie es nicht wollte«
         Er
blickte Viktoria mit ernster Miene an, als könne er nicht
begreifen, warum sie das Offensichtliche nicht einsehen wollte. »Wir
müssen jetzt zu Shikai. Er wartet«, fügte er dann
hinzu.
         Viktoria
stierte weiter in die Menschenmenge, suchte verzweifelt nach der
blauen Feder von Anettes Hut oder einem Zipfel ihres karierten
Kleides. Der Anblick von

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