Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Jaderinge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
Vom Netzwerk:
sie wieder zu Lao Tengfeis prächtigen
Hofhäusern. Sie entdeckte Dewei, der mit den zwei jüngeren
Töchtern des Mandarins im Schatten eines Baumes saß und
ihnen die Bilder aus dem Dickens-Roman zeigte. Wieder einmal hatte er
eine recht altkluge Miene aufgesetzt, genoss sichtlich das Gefühl,
auf Mädchen Eindruck zu machen, indem er ihnen zeigte, was er
schon alles über die Welt der Europäer wusste.
         »Hilfst
du mir jetzt beim Unterrichten?«, rief sie ihm zu, als sie aus
der Sänfte stieg. Er hob kurz den Kopf, um sie mit einem
zaghaften Lächeln zu mustern. Viktoria überkam das Gefühl,
wieder zuhause zu sein.
         Ein
Diener hinderte sie daran, in ihr kleines Haus zu eilen. Lao Tengfei
wollte sie offenbar sehen. Viktoria ließ sich schicksalsergeben
in einen weiteren Empfangsraum führen, wo ihr wieder einmal Tee
serviert wurde. Statt Süßspeisen gab es unbekannte
Früchte, die in kräftigen, satten Farben strahlten und
deren Saft erfrischend auf Viktorias Zunge zerfloss.
         Lao
Tengfei erkundigte sich, wie es ihr in Peking gefiel. Nachdem
Viktoria versichert hatte, sich wohlzufühlen, meinte er, dass es
sie sicher gefreut haben musste, einen Landsmann zu treffen. Sie
konnte völlig ehrlich zustimmen. Der Mandarin fragte nun sehr
beiläufig, ob irgendwelche Geschäfte erwähnt worden
waren. Viktoria erklärte lächelnd, dass sie von diesen
Dingen nichts verstand. Lao Tengfei schien nicht zufrieden mit dieser
Antwort, denn er spürte weiter nach. Waren vielleicht einige
Dinge erwähnt worden, die sich ihrem Verständnis entzogen?
Womöglich könnte er ihr helfen, sie zu begreifen. Viktoria
begann das Gespräch allmählich ermüdend zu finden,
doch dann ließ ein Blitz der Erkenntnis sie auffahren.
         »Soll
ich helfen, geschäftliche Verhandlungen zwischen China und
Deutschland voranzutreiben?«, entfuhr es ihr, bevor sie lang
nachgedacht hatte.
         Lao
Tengfei musterte sie mit einem Hauch von Missbilligung.
         »Diese
Verhandlungen Männersache«, meinte er entschieden. »Doch
ich wollen meine Land helfen. Vielleicht Sie können dies
Gesandten sagen, wenn ihn wiedersehen.«
         Viktoria
versprach sogleich, dies bei nächster Gelegenheit zu tun. Sie
konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass Max von Brandt an einer
solchen Nachricht interessiert war, denn er verhandelte bereits mit
einem Mann, der wichtiger war als Lao Tengfei.
         Politik,
so befand sie, war eine anstrengende und ermüdende
Angelegenheit, die sie gern den Männern überließ. Sie
verabschiedete sich höflichst von dem Mandarin und machte sich
auf, um ihre nächste Unterrichtsstunde vorzubereiten. Wider
Erwarten hatte sie an dieser Aufgabe Freude gefunden.

9. Kapitel

    Im
Juli wurde es fast so schwül, wie Viktoria es in Shanghai
kennengelernt hatte. Manchmal genügte ein kurzer Spaziergang im
Garten, damit der Stoff ihres Kleides sich anfühlte, als sei sie
in einen der Teiche gefallen. Zur Abkühlung wurden in den Räumen
prächtig verarbeitete Kästen aus Porzellan aufgestellt, die
Eis enthielten. Heftige Regenfälle brachten manchmal etwas
Erholung von der Hitze, doch überschwemmten sie gleichzeitig den
Garten und machten viele Straßen völlig unpassierbar, was
Viktorias Besuche bei Max von Brandt erschwerte.
         Inzwischen
kannte sie fast das gesamte diplomatische Corps, dessen Doyen, also
Vorsitzender, der deutsche Gesandte war. Sie war zu mehreren
Empfängen geladen worden und hatte bei einem Ball sogar die
Gelegenheit zu ausgiebigen Runden auf dem Parkett erhalten, da
westliche Frauen in Peking rar und als Tanzpartnerinnen daher überaus
begehrt waren. Momentan waren diese geselligen Treffen selten, da die
meisten Europäer und sämtliche Damen vor der Sommerhitze in
die Berge geflüchtet waren, doch im Herbst sollte eine neue
Ballsaison beginnen. Viktoria hatte bereits die Adresse eines
Schneiders erhalten, der auch europäische Gewänder
anfertigte. Da Lao Tengfei sie großzügig bezahlte, hoffte
sie, sich endlich wieder ein seidenes Ballkleid erlauben zu können.
In der westlichen Kolonie Pekings galt sie als höchst wagemutige
Abenteurerin, die immer wieder gefragt wurde, wie sie es ertrug, die
meiste Zeit mit Chinesen zusammenzuleben. Gerade die Damenwelt war
ein wenig schockiert, doch die jungen Herren betrachteten Viktoria
aus eben diesem Grund mit Neugier, auch wenn eine derart
unkonventionelle Frau sicher nicht als mögliche Gemahlin eines
aufstrebenden

Weitere Kostenlose Bücher