Das Geheimnis der Krähentochter
leicht
spöttisch in die Höhe gezogen. »Da ist er leibhaftig, und die ganze Welt
scheint vor Verzückung durchzudrehen.«
»Woher kennen Sie Oberst Falkenberg?«
»Ach, wie das eben immer so ist.« Helene winkte abfällig mit ihrer
kurzen, breiten Hand ab. »Die Familie meines Mannes und die Familie des Obersts
haben seit Ewigkeiten miteinander zu tun. Dieser Palast hier, den hat mein
verehrter Gatte dem Vater des Obersts abgekauft. Schon vor vielen Jahren.«
Bernina horchte auf. »Sie kennen den Vater des Obersts?«
»Nein, ich habe ihn nie zu Gesicht bekommen. Und auch mein Gatte
hat ihn bereits sehr lange nicht mehr gesehen. Offenbar kam es bei dem Kauf des
Palastes zu Meinungsverschiedenheiten. Aber …« Sie lachte kurz auf.
»Meinungsverschiedenheiten hatten schon sehr viele Herren mit Falkenbergs
Vater. Offenbar ist er nicht der angenehmste Zeitgenosse.«
Bernina erinnerte sich an die Worte Melchert Poppels. »Das habe
ich auch schon vernommen.«
»Wie dem auch sei, die Verbindung zu diesem Herrn brach ab, nicht
aber zu seinem Sohn, dem Graf Heinbold immer sehr zugetan war. Unter uns
gesagt, ich glaube, mein Gatte beneidet den schneidigen Oberst insgeheim. Aber
wenn ich mir die anderen Herren und Damen da hinten so ansehe – damit
steht er offensichtlich nicht allein.«
Sie verständigten sich mit einem verhaltenen Lächeln.
Als Bernina später in ihrem Bett lag, hallten
noch die Gespräche und Unterhaltungen, das Lachen und die Klänge des Spinetts
in ihrem Kopf wider. Kein Wort hatte sie mit Jakob von Falkenberg gewechselt,
kein einziges Wort, den ganzen Abend lang. Doch ihre Blicke hatten sich
gekreuzt, oft war Bernina seinen Augen begegnet. Überheblich, mit frechem Spott
hatte er sie angegrinst, so, wie sie es von ihm kannte, wie sie es von ihm
erwartete. Doch dann wieder lag etwas anderes in seinem Ausdruck, eine
Ernsthaftigkeit, ein Abwägen, das Bernina eher überraschte.
Zeitweise hatten sie sich gegenseitig ignoriert. Bernina hatte
damit gerechnet, dass er sie ansprechen würde, aber das tat er nicht. Er
behielt seine Distanz bei, und sie fragte sich, ob auch das eine Art von Duell
war. Hatte derjenige verloren, der den jeweils anderen zuerst ansprach?
Nach einer Weile jedenfalls hatte sich Bernina gemeinsam mit der
Gräfin zurückgezogen, ohne sich von jedem einzelnen Besucher zu verabschieden,
und auch als sie hinter Helene den Salon verließ, blickte sie ganz bewusst am
Oberst vorbei. Seine Augen allerdings richteten sich auf sie, schienen selbst jetzt
noch bei ihr zu sein, irgendwo hier, in der wabernden Dunkelheit des Zimmers.
Die Nacht war ruhig. Der Palast verharrte still in der ihm eigenen
Ehrwürdigkeit. Auch aus dem Salon drang kein einziger Laut mehr. Alle
schliefen. Alle bis auf Bernina, die sich von einer Seite auf die andere
wälzte, müde und gleichzeitig hellwach, manchmal ein wenig dösend, dann wieder
mit klaren Augen ins Nichts sehend.
Auf einmal brandete ein Sturm auf, fast von einem Moment auf den
anderen. Windböen rüttelten an den Scheiben, zerrten an den Mauern, als wollten
sie das Gebäude niederreißen. Schnee tanzte vor dem Fenster, heftig wie schon
seit Wochen nicht mehr. Bernina spähte nach draußen und wunderte sich. Nicht
nur über den Sturm. Hatte sie nicht zuvor die Vorhänge zugezogen?
Sie wickelte sich aus der Decke und ging auf das Fenster zu, um
ihr Versäumnis nachzuholen. Beim Griff nach dem schweren Vorhangstoff fiel ihr
Blick in die Weite vor dem Palast – und sie war wie versteinert.
Irgendwo dort hinten, bei den Birken, inmitten des Sturms,
erblickte sie einen Mann. Eine aufrecht auf einem Pferd sitzende schwarze
Gestalt mit einem großen Hut. Das Pferd stand völlig reglos. Die Umrisse von
Reiter und Tier hoben sich kaum vom Hintergrund ab. Schnee wirbelte um die
Gestalt herum, ließ sie verschwinden, wieder auftauchen und wieder
verschwinden.
Plötzlich war das Dunkel der Nacht, gesprenkelt von Weiß, wieder
nur ein bloßes Schwarz, das den Palast von der Welt abschirmte: keine Gestalt
auf einem Pferd, gar nichts, nichts als Sturm.
Bernina zitterte. Hatte sie sich getäuscht? War da jemand gewesen?
Gleich darauf misstraute sie nicht mehr nur ihren Augen, sondern auch ihrem
Gehör.
Ein Summen. Das Summen einer schwachen, dünnen Stimme. Es drang
durch das Holz der Tür, flirrte zitternd durch den Raum und löste sich ebenso
rasch auf wie zuvor die Gestalt des Reiters. Erst ein Mal hatte sie ein solches
Summen gehört. An einem
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