Das Geheimnis der Krähentochter
vollkommen
durchschaut«, fuhr Helene fort, »aber von einer Sache können Sie jederzeit
überzeugt sein. Möchten Sie wissen wovon?«
Bernina sah sie an und nickte leicht, die
Lippen geschlossen.
»Von sich selbst.« Helene forschte in ihren Zügen. »Seien Sie ganz
einfach immer überzeugt von sich selbst. Sie haben allen Grund dazu. Glauben
Sie mir das einfach.«
Das Abweisende in den Blicken der Damen verschwand nach und nach.
Im Salon des Palastes war Bernina zwar nicht als eine der ihren anerkannt, doch
sie hatte sich einen Platz erobert. Die Blicke der Herren allerdings blieben
unverändert. Sie waren von Anfang an auf sie aufmerksam geworden. Sowohl der
Hausherr selbst als auch alle seine Bekannten schenkten der jungen, groß
gewachsenen Frau bereits bei ihrem ersten Erscheinen Beachtung. Bernina jedoch
ließ diese Blicke, manche davon ziemlich verstohlen, andere fast schon
aufdringlich, gelassen an sich abperlen.
Bis zu jenem Abend, als Graf Heinbold im Laufe eines ausgedehnten
Essens einen besonders engen Freund ankündigte – einen Oberst der
kaiserlichen Truppen, den allseits bekannten und verehrten Jakob von
Falkenberg.
Der Oberst betrat den Salon mit hocherhobenem Kinn, bestens
gekleidet, wie immer in nachtblauen Stoffen, hier und da mit Spitze und roten
Applikationen verziert. In seinen Augen lag ein Schimmern, das einerseits
Verachtung für den sofort aufbrandenden Applaus der Gäste erkennen ließ und
andererseits doch nicht verhehlen konnte, dass er die Bewunderung durchaus
genoss.
Die ganze Zeit über hatte Bernina sich schon gefragt, wo er sich
aufhalten mochte, weshalb er nicht bei den Gesellschaften erschien. Doch dem
Drang, Helene nach seinem Verbleib zu fragen, hatte sie stets widerstanden.
Jetzt jedenfalls konnte sie nicht anders, als ihn anzusehen, jeden seiner
Schritte zu verfolgen. Und auch seine Blicke ruhten plötzlich auf ihr, als
hätte er sie gesucht, fest und selbstsicher, wie sie es von ihm kannte. Aber er
näherte sich ihr nicht, sondern gesellte sich zu einer reinen Herrenrunde, die
sich um den Gastgeber gebildet hatte.
Heinbold empfing den Oberst mit einem strahlenden Lachen und
sonnte sich sichtlich im Glanz seines Gastes. Sofort wurde Falkenberg umringt.
Er musste Hände schütteln, Fragen beantworten, Scherze mit noch besseren
Scherzen kontern. Und dabei fand er immer noch den einen oder anderen
Sekundenbruchteil, um Bernina mit einem Blick zu streifen.
Sie stand bei der Gräfin und einigen anderen Damen, aus deren
Überraschung angesichts Falkenbergs Erscheinen klar wurde, dass sein Überleben
auf den Schlachtfeldern des letzten Herbstes ein Geheimnis geblieben war.
Aufmerksam hörte Bernina weiter zu, und schnell wurde einiges
deutlich. Falkenberg hatte diesen Ort ganz bewusst gewählt, um sich
zurückzuziehen und auszukurieren. Ebenso bewusst hatte er die nach und nach
mehr werdenden abendlichen Gesellschaften gemieden. Wie es wirklich um ihn
stand, wussten offenkundig nur wenige. Wo er sich befand, noch weniger. Und so
hatte sein Name begonnen, eine Art Eigenleben zu führen.
Gerade seit er die Schlachtfelder verlassen hatte, wurde er umso
häufiger gesehen, manchmal an verschiedenen Orten zur gleichen Zeit. Gerüchte
entstanden. Es hieß, er sei gestorben und durch eine mysteriöse Zeremonie
wieder zum Leben erweckt worden. Dann wieder machte eine Geschichte die Runde,
die besagte, sein Gesicht sei im Kampf verunstaltet worden, weshalb er nun nur
noch mit einer Kapuze bedeckt in die Schlacht ziehen würde.
So war es kein Wunder, dass die Menschen im Salon von Schloss
Wasserhain sich bei seinem für sie völlig unerwarteten Auftauchen als
Eingeweihte betrachteten, als ein besonderer Zirkel, dessen Mitglieder als
einzige die ganze Wahrheit erfuhren.
Er lebte also, Oberst Jakob von Falkenberg, jener Mann, von dem
alle Welt schon so viel gehört hatte, der einst dem legendären Wallenstein das
Leben gerettet hatte. Immer wieder glitten Blicke über Falkenbergs
Ledermanschette, über seine aufrechte Gestalt. Immer wieder wurde er
angesprochen und darum gebeten, von seinen Kriegsabenteuern zu berichten.
Nicht mehr nur die Herren, auch die Damen gaben bald ihre
Zurückhaltung auf und scharten sich um Jakob von Falkenberg, begierig darauf,
etwas Aufmerksamkeit von ihm zu erhaschen und ein paar Worte mit ihm zu
wechseln.
Zu zweit standen Bernina und die Gräfin ein wenig abseits des
großen Gedränges. »Der große Held«, sagte Helene, die Augenbrauen
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