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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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stehen sah, Bernina, da hatte auf einmal wieder alles seinen
Sinn.«
    Bernina blickte direkt in seine Augen, doch ihr war es nicht
möglich, auch nur ein Wort zu äußern. Falkenberg schien ein wenig die Schultern
anzuheben, und sie erwartete bereits, er würde seine Arme um sie schlingen,
versuchen, sie zu küssen. Ihr war nicht klar, wie sie reagieren, ob sie erneut
Kraft genug haben würde, ihn von sich zu stoßen.
    »Es war schlimm für mich zu sehen«, fuhr er fort, »wie du
getrauert hast. Du warst wie tot, und ich wusste nicht weiter. Also tat ich
das, was ich früher schon oft getan habe. Ich griff zur Flasche, immer wieder,
und dann schlich ich mich vor deine Tür. Klopfte aber nicht an. Habe mich wie
ein kleiner Junge benommen. Später stahl ich mich sogar lautlos hierher, vor
die Tür dieses Zimmers. Weil ich wusste, dass du oft hier bist. Aber wieder
schaffte ich es nicht, auf dich zuzugehen. Zum ersten Mal in meinem Leben war
ich mutlos.« Er holte Luft. »Helene war mir immer eine gute Freundin. Sie
sagte, ich müsse dir Zeit geben – und die Hände vom Branntwein lassen.
Beide Ratschläge habe ich befolgt. Bis heute. Jetzt kann ich nicht mehr
warten.«
    »Es hat sich nichts geändert«, sagte Bernina. Und obwohl sie kühl
klingen wollte, bemerkte sie das Zittern in ihrer Stimme. »Ich bin immer noch
in Trauer. Ich liebe Anselmo und werde ihn immer lieben.«
    »Bernina«, hörte sie nach einem langen Schweigen wieder seine
Stimme, leiser als zuvor, mit verändertem Ton. »Bernina, wir gehören zusammen.
Am Anfang fiel mir nur auf, wie schön du bist. Doch dann erkannte ich, dass es
mehr ist als deine Schönheit. Da ist etwas, das uns verbindet.«
    Falkenberg verstummte, ließ seine Worte wirken, und es war, als
würden sie in der auf einmal stickigen Luft des Zimmers hängen bleiben, als
könnte man sie berühren und festhalten.
    Alles, was er tat, war mit seinem Handrücken
sanft über ihre Wange zu streichen. Die Berührung hatte eine tiefe, verstörende
Wirkung auf Bernina. Es war ganz anders als bei ihren sonstigen Begegnungen. Es
war, als verharrte die ganze Welt für diesen einen kurzen und zugleich
unendlich langen Moment in vollkommener Stille. Dann wandte Falkenberg sich ab
von ihr, um an der Zimmertür noch einmal stehen zu bleiben. »Ich hätte nicht
gedacht, dass ich das einmal zu einer Frau sagen würde«, meinte er. Sein Blick
war ernst. »Aber es ist, wie es ist, und für mich gibt es nicht den kleinsten
Zweifel. Wir gehören zusammen, Bernina.« Diese grauen Augen so klar, so
durchdringend. »Ich liebe dich.« Damit verließ er den Raum, ebenso lautlos, wie
er ihn betreten hatte.
    Bernina kam es vor, als hätte sie seit Minuten nicht mehr geatmet.
Sie füllte ihre Lungen mit Luft, und sie spürte, wie sich die Spannung in ihr
ein wenig löste. Doch diese Begegnung konnte sie einfach nicht abschütteln. Die
Berührung von Falkenbergs Hand blieb auf ihrer Wange, auch wenn er gar nicht
mehr bei ihr war. Sie sah seine Augen, hörte seine Stimme, den ganzen
Nachmittag über. Das Abendessen nahm sie allein in ihrem Zimmer ein. Sie
entschuldigte sich höflich, aber es war ihr nicht einmal möglich, mit Helene
ein paar Worte zu wechseln.
    Der Himmel, frühlingshaft blau und rein in den Nachmittagsstunden,
hatte sich mit Einbruch der Dunkelheit in eine stürmische schwarzgraue Masse
verwandelt. Wolkenfetzen verbissen sich ineinander und ließen Schnee und Regen
auf Schloss Wasserhain prasseln. Es war genau wie bei jenem düsteren Sturm, als
Bernina auf das Zimmer mit dem Gemälde gestoßen war. Sie stand am Fenster,
plötzlich aufgeschreckt durch das Unwetter, das sie auf kaum fassbare Weise
anzuziehen schien. Ihre Gedanken weilten nach wie vor bei Jakob von Falkenberg.
Seine Worte hatte er mit einer Tiefe und Wahrhaftigkeit vorgebracht, die
Bernina ihm nicht zugetraut hätte. Sie ließ die Blicke über den Park schweifen,
über Birken und Goldflieder. Genau wie in dieser einen noch nicht lange
zurückliegenden Nacht hatte das Gelände um den Palast etwas Gespenstisches.
Jeder Schatten schien von Leben durchdrungen zu sein.
    Auf einmal war es nicht mehr Falkenberg, der ihre Gedanken
beherrschte. Dort zwischen den Birken, geschützt vor Regen und Schnee durch
einen schwarzen Umhang und einen Hut, saß eine Gestalt auf einem Pferd. Selbst
auf die Entfernung war das lange, silbern schimmernde Haar zu erkennen, das bis
zu den Schultern reichte. Sogar das Glitzern der Eiskristallaugen

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