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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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erzählten, wie viel Zeit Sie in Ihrer Kindheit mit diesem Mädchen
verbracht haben?«
    »Natürlich weiß ich das noch«, gab er zurück.
    »Aber Sie sagten nicht, dass es noch ein ähnliches Gemälde gibt.
Eines, das dasselbe Mädchen zeigt.«
    »Erwähnte ich das nicht?« Er stutzte. »Vielleicht weil dieses
Bildnis hier niemals so präsent für mich war. Gut, ich kenne es ebenso lange
wie das andere, aber als Junge war ich sehr oft und sehr lange in Südbaden. Vor
allem in Ippenheim.« Längst war er wieder zum vornehmen förmlichen Sie
gewechselt. Doch sein ›Ich liebe dich‹ füllte weiterhin den Raum zwischen ihnen
beiden aus. »In Schloss Wasserhain haben wir uns kaum aufgehalten, weder ich
noch mein Vater. Es ist so abgelegen. Mein Vater hatte wesentlich mehr in
Südbaden zu tun als in Franken.«
    »Was hatte er dort zu tun?«
    »Geschäfte, nehme ich an. Irgendetwas hielt ihn immer in Atem,
musste immer erledigt werden.«
    »Welche Geschäfte?«
    »Das weiß ich heute nicht mehr. Aber …« Erneut stutzte er.
»Wieso fragen Sie überhaupt so interessiert nach ihm? Und übrigens nicht zum
ersten Mal. Warum so …?«
    »Neugierig, meinen Sie?«
    »In der Tat: neugierig.«
    »Mir ist nicht aufgefallen, dass ich mich so für ihn
interessiere.«
    »Mir dagegen schon.« Kurz wich Falkenberg ihrem Blick aus, dann
sah er sie wieder an. »Doch leider kann ich Ihnen nicht allzu viel über ihn
mitteilen. Wir haben kaum noch miteinander zu tun. Genauer gesagt: gar nichts
mehr.«
    »Weshalb ist das so?«
    Abwägend forschte er in ihrem Gesicht. »Weil es das Leben wohl so
wollte.« Eine endgültige Geste seiner verbliebenen Rechten. »Aber ehrlich gesagt,
mir wäre es lieber, Sie würden sich für mich ebenso interessieren wie für
meinen Vater. Ich werde fast schon eifersüchtig.«
    Sie schüttelte leicht den Kopf. »Ich sage es noch einmal: Ihr
Vater spielt wirklich keine Rolle für mich. Das haben Sie missverstanden.«
    »Dann bleibt mir ja doch ein wenig Hoffnung, dass ich es sein
könnte, dem Ihr Interesse gehört?«
    Der Spott, mit dem er noch vor Wochen so etwas gesagt hätte,
schwang an diesem Tag nicht in seinen Worten mit.
    Sie lächelte ihn an, was ihm zu gefallen schien.
    »Trotzdem würde ich gern«, sagte sie nach einer Pause,
»ausgesprochen gern noch etwas über einen anderen Mann erfahren.«
    »Sie wollen mit mir spielen?«, fragte er ironisch. »Sich ein wenig
über mich lustig machen, Bernina?«
    »Bestimmt nicht. Es gibt in der Tat einen anderen Mann, über den
ich liebend gern mehr wissen würde.«
    »Und wer soll das sein?«
    »Wer ist der Mann, der das gemalt hat?«
    Er antwortete nicht und sie betrachtete ihn aufmerksam, und in
diesem Augenblick kam es ihr vor, als würde er sie an jemanden erinnern. Schon
früher hatte sie zuweilen diesen Eindruck gehabt. Wie Falkenberg den Kopf
hielt, das Kinn erhoben, die Nase scharf, die Form der Augen. Dieses Gesicht.
Als würde sie es von einem anderen Menschen kennen.
    »Nun, Herr Oberst, wer ist der Künstler?«, fragte Bernina
abermals.
    »Sie lächeln zwar, meine verehrte Bernina, aber Sie können nicht
verhehlen, dass Ihnen diese harmlose Frage wichtig ist.«
    »Das mag sein«, ließ Bernina sich nicht ablenken. »Kennen Sie denn
die Antwort auf diese harmlose Frage?«
    »Ja und nein«, erwiderte er und zuckte jetzt ein wenig
desinteressiert mit den Schultern. »Der Maler, von dem beide Gemälde mit dem
Mädchen stammen, war ein Freund meines Vaters. Oder nur ein Bekannter, ich weiß
das nicht einmal genau. Begegnet bin ich ihm nie. Und ich habe auch nicht mehr
über ihn erfahren. Allerdings habe ich, im Gegensatz zu Ihnen, nie etwas über
ihn erfahren wollen.«
    »Wie ist sein Name?«
    »Vielleicht habe ich ihn einmal gehört – erinnern jedoch kann
ich mich daran nicht.«
    »Demnach ist Ihnen auch nicht bekannt, was aus ihm geworden ist?«
    »Nein.«
    »Aber das gezeichnete Mädchen war Ihnen als Kind wichtig, wie Sie
mir sagten.«
    »Ja, das war es. Zugegeben. Doch auch nur, weil es in dem Zimmer
war, in dem ich so viel Zeit verbrachte. Und weil ich wohl …«
    »… einsam war«, beendete Bernina den Satz.
    »Wie Sie ja schon einmal festgestellt hatten, als Sie sich so
freundlich nach meiner Kindheit erkundigten.«
    »Also wissen Sie auch nicht, wer dieses Mädchen sein könnte?«
    »Nein, da muss ich Sie ebenfalls enttäuschen. Ich weiß nicht
einmal, ob das Mädchen wirklich lebt und heute zur Frau gereift ist. Oder ob es
überhaupt gelebt

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