Das Geheimnis der Krähentochter
aneinander gewöhnen. Arnim von der Tauber und Benedikt von Korth
belauerten sich, beobachteten sich noch aus sicherer Entfernung. Aber je weiter
der Frühling in den Sommer überging, desto weiter bewegten sie sich aufeinander
zu. Die seit Langem befürchtete Entscheidung zwischen den beiden Generälen und
ihren Gefolgschaften würde nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. Denn
auch wenn er sich bislang noch Zeit ließ, der Krieg konnte gar nicht anders,
als sein immer gleiches erbarmungsloses Spiel weiterzuspielen. Nach wie vor so
siegesgewiss, wie ihn die Menschen seit vielen Jahren kannten und fürchteten.
Ihn, den größten aller Befehlshaber, der die Offiziere mit teuflischem
Vergnügen wie Schachfiguren über ein unübersichtliches, von Bergzügen, Tälern
und Siedlungen zerklüftetes Spielbrett verschob.
Eine der schillerndsten dieser Figuren blieb dem Spiel allerdings
weiterhin fern. Oberst Jakob von Falkenberg kostete seine Abgeschiedenheit auf
gleiche Weise aus, wie er früher die Schlacht genossen hatte. Noch immer gab es
Stimmen, die überzeugt davon waren, ihn mitten im Kampfgeschehen erkannt zu
haben, noch immer machten Gerüchte die Runde, er wäre gefallen und von den
Toten auferstanden, um verhüllt von Umhängen und Rüstungen wieder an der Front
zu sein.
Ihn selbst amüsierte das alles. Wenn Gäste in Schloss Wasserhain
eintrafen, ließ er sich erzählen, was über ihn gesagt wurde. Mit versonnenem
Lächeln lauschte er den Berichten, offenbar nicht unzufrieden damit, weitab vom
Geschehen zu sein. Und das, obwohl er längst genesen war und trotz der
fehlenden Hand wieder seine Rolle hätte spielen können. Früher, so war man sich
einig, hätte er selbst mit einem fehlenden Bein nicht gezögert, zurück zu
seinem Heer zu stoßen, unermüdlich und ehrgeizig, stets eine Gelegenheit
suchend, noch mehr Ruhm für sich zu erlangen. Diejenigen, die um seinen
geheimen Aufenthaltsort wussten, wunderten sich über ihn.
Als die Bedrohung neuerlicher großer Schlachten greifbarer wurde,
tauchten nach und nach weitere Offiziere der kaiserlichen Truppen im Palast von
Graf Heinbold zu Wasserhain auf, um dessen berühmten Gast zu sprechen. Offiziere,
die sich höchster Anerkennung erfreuten, deren Wort Gewicht hatte. Einer nach
dem anderen brachte die Hoffnung zum Ausdruck, Jakob von Falkenberg so rasch
wie möglich wieder in den eigenen Reihen zu wissen.
Doch mit dem gleichen Lächeln, mit dem er den merkwürdigen
Gerüchten begegnete, die sich um seine Person rankten, machte er solche
Hoffnungen zunichte. Und die etlichen Fragen, wie lange er sich noch auf
Schloss Wasserhain zurückzuziehen gedenke, ließ er mit einem entspannten
Schulterzucken an sich abprallen.
Ebenso verwundert wie zuvor der Graf und die Gräfin, mussten die
Offiziere feststellen, wie sehr der Oberst sich verändert hatte. Zuerst nahmen
sie an, das hinge mit den schweren Verletzungen zusammen, die er sich zugezogen
hatte, wie das bei vielen anderen tapferen Männern schon der Fall gewesen war.
Als sich unter ihnen der wahre Grund herumsprach, weshalb ausgerechnet der
tollkühne Falkenberg das Nichtstun der Schlacht und dem Ruhm vorzog, wurde ihre
Verwunderung umso größer.
Zahlreiche Geschichten hatte es immer um ihn gegeben –
amouröse Abenteuer wurden dem Oberst fast so viele nachgesagt wie Heldentaten
im Kampf. Aber dass er sich verliebt haben sollte, das konnte kaum einer jener
wettergegerbten, von Kampfnarben gezeichneten Offiziere für möglich halten.
Doch es war so.
Umso neugieriger warteten die verschiedenen Besucher darauf, jene
Frau kennenzulernen, die das Kunststück fertiggebracht hatte, Jakob von
Falkenberg vom Schlachtfeld fernzuhalten. Zu ihrer Enttäuschung jedoch erwies
sich diese Dame als ausgesprochen zurückhaltend. Sie ließ sich nicht blicken,
und den Offizieren blieb nichts anderes übrig, als ernüchtert wieder
abzureisen.
Bernina wollte sich nicht vorführen und begutachten lassen wie
einen Hengst, den man für viel Geld gekauft hatte. Davon abgesehen war sie
überrascht davon, wie schnell diese Neuigkeit die Runde machte, wie rasch sie
sich im Palast herumgesprochen hatte und dann sogar weit über die
Schlossgrenzen verbreitete. Sie selbst hatte sich noch nicht an den Gedanken
gewöhnt, dass es eine neue Liebe in ihrem Leben gab.
Sie kam sich vor wie überrollt, überrascht von sich selbst, von
ihrer Wehrlosigkeit gegenüber diesem Mann, der voller Selbstvertrauen auftrat,
nur um dann wieder
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