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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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seine Verletzlichkeit zu offenbaren. Bernina wusste zuerst
nicht, wie sie sich verhalten, ob sie diesem inneren Drang nachgeben sollte,
der sich ihrer bemächtigt hatte. Und erneut war es Helene, die sich als gute
Freundin erwies. Nicht indem sie gleich mit einem Rat aufwartete, sondern indem
sie Bernina zunächst einmal zuhörte. Dann, als Bernina schon annahm, die Gräfin
würde ihre ungewohnte Zurückhaltung beibehalten, äußerte sich Helene doch noch.
»Also, was ich dazu sage, ist: Du kannst nicht für den Rest deines Lebens
trauern.«
    »Ach, es geht nicht nur um Trauer«, erwiderte
Bernina mit einer kaum verhohlenen Ungeduld, und sie sah das Gesicht Anselmos
vor sich, als würde er vor ihr stehen und ernst seine Augen auf sie richten.
»Es geht um Respekt. Und es geht um Liebe. Helene, ich liebe Anselmo doch noch
immer. Nur weil er tot ist, heißt das nicht, dass auch meine Liebe zu ihm
gestorben ist.«
    »Das glaube ich dir«, nickte Helene ruhig. »Und ich glaube dir
auch, dass du ihn immer lieben wirst. Aber …« Sie ließ die Worte mit für
sie ungewöhnlicher Sanftheit verklingen.
    »Ja?« Bernina sah sie an.
    »Aber jetzt sage ich dir etwas, was ich dir schon einmal sagte.«
Die Gräfin nahm sich einen kurzen und zugleich langen Moment Zeit. »Entscheide
dich, ob du tot sein willst. Oder ob du das Leben wählst.«
    »Ich will leben!«
    »Und ob du das willst. Denn in dir ist genug Leben, dass es für
ein paar Leute reichen würde.«
    »Du weißt das von uns, oder?« Zögerlich kamen die Worte über
Berninas Lippen. »Ich meine, dass der Oberst und ich … dass wir uns immer
in dem Zimmer …«
    »Halt«, unterbrach Helene sie. »Ich weiß es. Aber das heißt nicht,
dass ich jede Einzelheit kenne.« Sie grinste. »Oder dass ich jede Einzelheit
wissen müsste …«
    Auch Bernina lächelte ein wenig. »Alles ist so schwierig«, meinte
sie unsicher.
    »Wenn alles einfach wäre, wäre es auch langweilig«, erwiderte
Helene ebenso gutmütig wie aufmunternd.
    Ihre Liebe zu Anselmo war Bernina immer makellos erschienen, sie
waren aufeinander zugelaufen, hatten sich gefunden und waren zusammengeblieben,
solange, bis das Schicksal sie wieder getrennt hatte. Bei ihr und Jakob von
Falkenberg war alles anders.
    Zuerst waren sie sich wie Gegner gegenübergestanden, hatten
miteinander gerungen, manchmal mit Worten und Gesten, immer mit Blicken, die
aufeinanderprallten und sich ineinander verhakten wie die Waffen von Soldaten.
Je stärker er sie einzunehmen versuchte, desto standhafter war sie geblieben.
Bernina hatte ihn regelrecht gehasst, wegen seines Auftretens, wegen seiner
überheblichen, selbstverliebten Art, hatte ihn verachtet, er war ein Mann, der
den Krieg liebte, der andere Männer getötet hatte, auf dessen Befehl Männer
gevierteilt worden waren.
    Und jetzt?, fragte sie sich. Was wird wohl als Nächstes kommen?
    Mit dem schönen sommerlichen Wetter wurden die abendlichen
Gesellschaften im Palast sogar noch häufiger. Im Gegensatz zu den
Offiziersrunden war es Bernina bei Helenes und Heinbolds Gästen nicht möglich,
sich jedes Mal entschuldigen zu lassen und auszuschließen. Und das sah sie auch
gar nicht ein. Schließlich war sie eine Außenseiterin gewesen, sie hatte sich,
unterstützt von Helene, ihren Platz in dieser vornehmen Gruppe von Menschen
erst erobern müssen. Und genau wie am Anfang stieß sie erneut auf Ablehnung.
Keine offene, sondern eine unterschwellige Ablehnung, die in versteckten
Blicken der feinen Damen aufloderte, in der Art, wie man sprach, wenn Bernina
zugegen war. Zuerst durchschaute sie nicht, was diesmal der Auslöser dafür sein
mochte. So war es wieder einmal Helene, die ihr die Augen mit klaren Worten
öffnete: »Sie sind eifersüchtig auf dich. Eifersüchtig wegen Falkenberg. Auch
wenn sie es nicht eingestehen würden: In Wirklichkeit sind diese dummen
Wachteln, ob verheiratet oder nicht, alle hinter ihm her.«
    Von da an gab sich Bernina so, wie sie sich auch bei der anfänglichen
Herablassung präsentiert hatte: Sie tat, als bemerke sie gar nichts von diesen
Blicken, ließ sich einfach nicht aus der Ruhe bringen.
    Auch Jakob von Falkenberg entging diese Eifersucht nicht. Und er
begegnete ihr auf seine Art. Nur noch demonstrativer widmete er sich Bernina,
nur noch offensichtlicher sandte er bewundernde Blicke in ihre Richtung. Bei
den Abendessen saßen sie jetzt immer nebeneinander. Nicht mehr wie zu Beginn
wie durch eine unsichtbare Mauer getrennt, sondern mit einer

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