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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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vier seiner Soldaten auszuwählen, die den Gefangenen noch heute
Morgen wegschaffen sollen.«
    »An sich ist das alles noch kein Grund«, warf Bernina ein, »dass
du die ganze Nacht …«
    »Natürlich nicht«, sprach Helene schnell weiter. »Und du weißt,
der Oberst ist ein alter, guter Freund, also folgte ich auch dieser Bitte. Aber
dann …«
    »Ja?« Bernina fühlte, wie sie zusehends angespannter wurde.
    »Aber dann kam es mir irgendwie komisch vor. Dieses Beharren
darauf, dass du den Gefangen nicht sehen dürftest.«
    »Wo hält man ihn überhaupt gefangen?«
    »Es gibt ein Kellergewölbe, das du nicht kennst, zwischen diesen
Hagebuttensträuchern hinter dem Palast. Früher wurde es gelegentlich als
zusätzliche Vorratskammer genutzt, aber das ist eine Weile her. Man erreicht es
über eine Falltür und eine Leiter. Dort ist er untergebracht. Natürlich wird er
bewacht.«
    »Ich nehme an, du hast …«
    »Ja, das habe ich«, schnitt Helene ihr erneut das Wort ab. »Ich
habe mir diesen Landstreicher angesehen. Auch wenn Falkenberg offenbar verboten
hat, dass jemand in diesen Keller hinabsteigen darf. Aber auf Schloss
Wasserhain gibt es nichts, das ich mir verbieten lasse, das darfst du getrost
glauben.«
    »Du hast den Mann gesehen?«
    »Ja, ich flunkerte der Wache vor, ich müsse überprüfen, ob dieser
Landstreicher schon einmal unberechtigt unseren Grund und Boden betreten hätte.
Und dass es ganz im Sinne des Obersts wäre, wenn ich einen Blick auf den
Burschen werfen würde. Also ließ man mich kurz zu ihm.«
    »Und dann?«
    »Und dann war ich nicht gerade beruhigter. Im Gegenteil.«
    Berninas Kehle war wie ausgetrocknet. Die Anspannung in ihr war
noch intensiver. Fast unhörbar leise fragte sie: »Was ist mit dem Mann?«
    Helene begann herumzudrucksen, schien ein Wort nach dem anderen zu
verwerfen, und das war nicht gerade typisch für sie.
    »Was ist mit dem Mann?«
    »Bernina, du hast mir doch damals so viel von deinem Anselmo
erzählt …«
    Sein Name schien das Zimmer, den gesamten Palast auszufüllen. »Und
weiter, Helene?«
    »Du hast ihn mir beschrieben, und ich sah diesen Mann in dem
Kellergewölbe. Bernina, er passt so gut zu dieser Beschreibung. Die dicken
schwarzen Haare, die dunkle Haut. Er ist groß und schlank …«
    Bernina war heiß und kalt, die Erde schien unter ihren Füßen
nachzugeben. Sie brachte kein Wort, keinen Laut über die Lippen. Gegenstände
schienen vor ihren Augen zu verschwimmen.
    »Mein Gott, Bernina«, rief Helene unsicher. »Ich weiß wirklich
nicht, ob es richtig ist, was ich tue. Wenn ich traurige, längst überwundene
Erinnerungen unnötig aufbreche, dann würde ich es mir nie verzeihen.«
    Bernina erhob sich, ganz langsam. Mit einem Blick, der wieder
völlig klar war, sah sie sich in ihrem Zimmer um, und auf einmal kam ihr alles
darin eigenartig fremd vor.
    »Was ist mir dir?«
    »Nichts.«
    »Ach, ich könnte mir eigenhändig die Zunge abschneiden. Hätte ich
doch nur meinen dummen Mund gehalten.«
    »Nein, das war gut. Ich danke dir.« Bernina sah sie wieder an.
»Wann, hast du gesagt, soll der Gefangene weggebracht werden?«
    »Wahrscheinlich sehr bald. Ich denke, wenn die Sonne aufgegangen
ist …«
    »Also bleibt nicht mehr viel Zeit«, unterbrach Bernina sie und
blickte kurz aus dem Fenster, wo sich die Dunkelheit bereits aufzulösen begann.
    »Bernina, was hast du vor?«
     
    *
     
    Glasklar war die Luft, noch nicht durchsetzt von Hitze und Sonne.
Ein Schleier aus fahler Helligkeit zog den Horizont entlang. Bei den Birken,
deren weiße Rinde in dem diffusen Licht beinahe unnatürlich rein wirkte,
standen zwei Soldaten. Sie sahen müde aus von der Wache und schienen bloß noch
auf ihre Ablösung zu warten. Von den beiden Frauen, die den Palast durch den
Seiteneingang verließen, bekamen sie nichts mit.
    Bernina hatte Helene die Führung überlassen und folgte ihr in
einem Abstand von zwei Schritten. Sie fühlte sich angespannt.
    Sie umrundeten das große eindrucksvolle Gebäude, und nach ein paar
weiteren Metern erreichten sie die Hagebuttensträucher. Auch hier stand ein
Wachsoldat, der ihnen bereits verwundert entgegenblickte. Er war jung und
wischte sich mit der einen Hand die Schläfrigkeit aus den Augen, während er mit
der anderen krampfhaft seine Muskete festhielt. Fast schien es, als überlege
er, ob er vor der Gräfin salutieren oder es lieber lassen sollte.
    »Wir möchten zu dem Gefangenen«, erklärte Helene knapp.
    Schüchternheit lag im

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