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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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merkte es gar nicht, achtete einfach nicht darauf. Sie spürte, wie sich
ihre Augen mit Tränen füllten, Tränen einer eigentlich längst verlorenen
Hoffnung. Die Entscheidung, die sie getroffen hatte, war die richtige. Dessen
war sie sich ganz sicher. Es war die einzige Entscheidung, die es geben konnte.
Und noch immer sah sie das Gesicht Eusebios vor sich, noch immer sah sie, wie
seine Lippen lautlos dieses Wort formten.
     

Kapitel 8

Ein Ort, an dem nie Sommer war
    Aus dem Blau des Morgenhimmels stießen einige Krähen hervor, krächzend,
würdevoll in der Luft rudernd. Etwas an ihrem Anblick machte Bernina bewusst,
dass es kein Zurück mehr gab. Was sie sich vorgenommen hatte, würde sie in die
Tat umsetzen.
    Seit sie das Kellergewölbe, in dem Eusebio festgehalten wurde,
verlassen hatte, waren nur ein paar Momente vergangen. Doch es waren Momente,
die schwer wogen, die Berninas Weg von jetzt an in andere, völlig unerwartete
Bahnen lenkten.
    Langsam war sie, begleitet von Helene, wieder zum Palast gegangen,
während Falkenberg noch zurückblieb. Sie hörte, wie er dem jungen Wachsoldaten
mitteilte, dass der Gefangene in Kürze von vier Soldaten abgeholt und
weggebracht werden würde.
    Sie hatten fast den Seiteneingang des Palastes erreicht, als
Helene ihre Hand auf Berninas Arm legte.
    »Warte!«, beschied die Gräfin knapp. »Jetzt ist meine Geduld am
Ende. Kannst du mir sagen, was das soll?«
    »Was meinst du?«
    »Was ich meine? Du scherzt wohl!« Helene stemmte die Fäuste in die
Hüften.
    »Lass uns reingehen, Helene, ich fürchte, ich habe nicht viel
Zeit.«
    »Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir.«
    »Ich werde es dir erklären.«
    »Allein schon dieses Gespräch, zu dem du Falkenberg gebeten hast«,
bohrte Helene weiter. »Was hat es damit auf sich? Was wirst du ihm sagen?«
    »Gar nichts werde ich ihm sagen«, erwiderte Bernina, ohne ihre
Freundin anzusehen.
    »Gar nichts?«
    Hinter sich hörten sie, wie der Eingang erneut geöffnet und
geschlossen wurde, dann die Stiefelabsätze Falkenbergs. Sie erreichten das Ende
eines der langen Flure und bogen in den nächsten ab.
    »Ich werde ihm nichts sagen, weil es kein Gespräch geben wird«,
eröffnete Bernina ganz ruhig. »Aber so kann ich ihn in Sicherheit wiegen –
und noch Zeit gewinnen. Jeder Moment zählt.«
    Erst jetzt wechselte Bernina einen Blick mit ihr. »Und du musst
mir helfen.«
    Sie gelangten an Berninas Zimmertür und blieben stehen.
    Nachdenklich ruhten die Augen der Gräfin auf Bernina. »Ich mache
mir Sorgen um dich, weißt du das?«
    »Vertraust du mir?«
    »Ja. Was auch immer geschieht.«
    »Dann bitte ich dich jetzt um einen letzten Gefallen.«
    »Einen letzten?«
    »Eines Tages werde ich versuchen, alles gutzumachen, was du für
mich getan hast. Du hast mir so sehr geholfen. Und ich meine nicht nur das
Lesen und Schreiben.«
    »Was ist los, Bernina? Mach bitte keine Dummheiten, die du einmal
bereuen wirst.« Helenes Stimme hatte etwas Beschwörendes.
    »Ich habe keine Zeit, dir alles zu erklären. Aber ohne dich
schaffe ich es vielleicht nicht.«
    »Himmel, Bernina, was schaffst du nicht?«
    »Willst du mir helfen?«
    Stille. Das Atmen der beiden Frauen schien in diesem Augenblick
das einzige Geräusch innerhalb des gesamten Palastes zu sein.
    »Ja, ich will dir helfen«, versprach die Gräfin.
    »Ich muss etwas holen. In der Zwischenzeit wirst du wieder nach
draußen gehen. Zu den Ställen. Dort wirst zu zwei Pferde für mich vorbereiten,
zwei der besten Reitpferde. Du wirst sie zu den Hagebuttensträuchern bringen.«
    »Wozu das alles?«
    »Wir haben nicht viel Zeit.«
    Diesmal war es Bernina, die beschwörend klang.
    Und das Unverständnis, das Helenes Gesicht eben noch
widergespiegelt hatte, wich einem Ausdruck der Entschlossenheit.
    »Ich werde da sein«, sagte sie schließlich. »Mit den Pferden.«
    Nur kurz darauf verließ Bernina ihr Zimmer bereits wieder. Sie
hatte sich einen Umhang über die Schultern geworfen, der verbarg, was sie
voller Anspannung in der Hand hielt. Ihre Blicke hetzten durch den Flur, von
einem zum anderen Ende, und sie achtete darauf, bei keinem einzigen ihrer
Schritte ein unnötiges Geräusch zu verursachen.
    In den letzten Monaten hatte sie den Palast so gut kennengelernt,
dass sie das Labyrinth seiner Gänge bestens für sich zu nutzen wusste. Sie
kannte auch den kleinen Ausgang, der auf der Westseite des Gebäudes lag –
eine schmale unauffällige Tür, die so gut wie nie benutzt wurde.
    Sie

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