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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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bekam. Blutiges
Geld.«
    Verächtlich winkte er ab, bevor er
weitersprach: »Und so ließ ich mich verführen. Vom Branntwein. Und von Frauen,
die mir helfen sollten, nicht mehr an dich zu denken. Früher habe ich nie einen
Tropfen getrunken, und nun soff ich ständig mit irgendwelchen Soldaten. Einmal
wurde ich zusammengeschlagen und ausgeraubt. Der Ring war weg, den ich immer
für dich aufgehoben habe, selbst während der Gefangenschaft. Sie zogen mir
sogar die Kleidung aus, nahmen alles mit, was mir gehörte. Wahrscheinlich waren
es meine eigenen Kameraden. Aber auch das brachte mich nicht zur Vernunft. Ich
machte immer weiter.«
    »Quäl dich nicht, Anselmo«, meinte Bernina. »Es ist genauso, wie
du es sagst: Wir müssen uns nichts erzählen.«
    Er nickte. »Vielleicht ja doch. Ich habe noch nie darüber
gesprochen. Etwas davon habe ich Eusebio berichtet, aber doch nicht alles. Etwa
wie ich bei dem Offizier blieb. Ich griff nicht zur Waffe, das nicht, aber ich
genoss es geradezu, mitten im Gefecht zu sein. In Gefahr zu sein. Ich wartete
auf meine Kugel. Und eines Tages fand sie mich. Der Offizier starb, fast alle,
die mit ihm kämpften, aber ich überlebte. Ausgerechnet ich, der ich gar nicht
leben wollte.«
    »Quäl dich nicht«, sagte sie erneut.
    Er lächelte traurig. »Weißt du, was besonders schlimm war? Als ich
später von Poppel erfuhr, welche Anstrengungen du unternommen hast, mich wiederzufinden.
Ich schämte mich. Nachdem ich Sprachmeister war, hätte ich fliehen können.
Hätte es wenigstens versuchen können. Aber ich tat nichts dergleichen. Du
hättest nicht aufgegeben, Bernina. Du nicht.«
    Bernina holte tief Luft, sie fühlte, wie ihr Herz schlug, sie
fühlte Anselmo.
    Und dann wurde das Plätschern des nachlassenden Regens vom
neuerlichen Getöse der Kanonen zerdrückt. Nahe Einschläge der Kugeln brachten
den Turm zum Schwanken. Wieder Schüsse aus unzähligen Musketen, bald darauf
Schreie. Das Inferno der Schlacht ging weiter, als hätte es niemals aufgehört.
    Bernina erzitterte in Anselmos Armen. Sie drückten sich noch enger
aneinander. Die Welt da draußen tobte, während sie beide sich einfach nur
festhielten.
    »Anselmo, ich liebe dich«, flüsterte sie in das dicke, glänzende
Haar, das sein Ohr bedeckte.
    »Und ich liebe dich, Bernina.«
    Wiederum geriet der Turm ins Wanken. Es war ein Gefühl, als würde
die Erde untergehen.
    Auf einmal platzte Melchert Poppel ins Zimmer. Er schien völlig
außer Atem zu sein und hastete zum Fenster.
    »Mein Gott«, hörte Bernina seine Stimme. »Die Stadt wird
untergehen.«
    Bernina löste sich von Anselmo und trat zu ihm. Doch sie blickte
nicht aus dem Fenster. Das Wüten der Gewalt wollte sie nicht sehen. »Sagen Sie
mir, Herr Poppel, wenn ich irgendwie helfen kann.«
    »Ich fürchte, nicht einmal der liebe Gott könnte uns noch helfen.«
    »Aber ich sehe Ihnen doch an, wie angestrengt Sie nachdenken. Was
überlegen Sie?«
    »Ach, mir geht die ganze Zeit über im Kopf herum, ob es nicht
besser wäre, diesen Turm zu verlassen und anderswo Schutz zu suchen.« Seine
Stirn war schweißbedeckt. »Ich habe von unterirdischen Gräben gehört, wahren
Labyrinthen, die die Menschen aus Angst vor der Schlacht angelegt hätten.«
    »Ja, so etwas habe ich in Ippenheim mit eigenen Augen gesehen.«
    Poppel jedoch winkte schon wieder ab. »Aber es sind einfach zu
viele Verletzte hier. In den Stockwerken über unserem sind die Räume voll mit
armen Kerlen. Einige haben schon das Weite gesucht. Doch ich vermute, die
wissen selbst nicht, wohin sie eigentlich flüchten wollen.«
    »Sie haben doch längst entschieden, dass es das Beste ist, hier
auszuharren.«
    »Wenn es nur so leicht wäre, eine Entscheidung zu treffen.« Poppel
warf seinen Hut auf den Tisch. »Diesmal sieht es schlecht aus, verteufelt
schlecht. Arnim von der Tauber könnte höchstens noch durch ein Wunder
aufgehalten werden.«
    Bernina ging zurück zu Anselmo und setzte sich zu ihm auf das
Strohlager. Aus dem Stoff ihres Kleides zog sie etwas hervor.
    Anselmos Augen weiteten sich vor Überraschung. »Aber das gibt es
doch nicht!« Er nahm ihr den Ring aus der Hand. »Der sieht genauso aus wie der
Ring, den ich dir damals … Der Ring, den man mir gestohlen …« Er ließ
die Worte verklingen. »Woher hast du ihn?«
    »Das werde ich dir irgendwann einmal in aller Ruhe erklären.«
    »Falls es dieses Irgendwann einmal für uns gibt.«
    »Was auch passieren mag: Ab jetzt werde ich diesen Ring

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