Das Geheimnis der Krähentochter
fühlte sich bei diesen Worten in
dem Verdacht bestätigt, der ihr auf der Festung gekommen war. »Wie hieß
Falkenbergs Vater?«
»Wie schon.« Angesichts der Offensichtlichkeit der Antwort hob
Poppel kurz die Schultern. »Natürlich auch Falkenberg.«
»Sagt Ihnen der Name Pietro della Valle etwas?«
»Nein, aber das muss nicht viel bedeuten. Im Laufe meines
mühevollen Lebens habe ich schon so viele Namen aufgeschnappt und rasch wieder
vergessen. Übrigens habe ich dabei gelernt, dass gerade klangvolle südländische
Namen gerne verwendet werden, wenn man eine neue Identität nötig hat.«
Sie wechselten einen Blick.
»Warum, Herr Poppel, haben Sie davon erzählt? Von Falkenberg? Von
seinem Vater?«
»Ach, ich weiß auch nicht recht. Damals wunderte ich mich nur
darüber, dass Sie nach Falkenbergs Vater fragten.«
»Ich erkundigte mich nicht nach ihm im Besonderen. Es war eher so,
dass ich einfach mehr über den Oberst selbst wissen wollte.«
»Ja, das ist mir schon klar. Aber irgendwie
geht es dabei ja auch um den Oberst. Denn obwohl sein Vater beim Kaiser so sehr
in Ungnade fiel, blieb der Ruf des Obersts davon völlig unberührt.
Normalerweise sollte man meinen, eine solche Geschichte würde auch ihm schaden.
Aber das Gegenteil war der Fall. Sein Aufstieg begann erst so richtig, als sein
Vater Hochverrat beging. Ich wunderte mich einfach nur, als ich das hörte, und
mir wurde klar, dass es vieles in Falkenbergs Leben geben muss, von dem auch
ich nichts weiß. Und dabei habe ich ihn doch ziemlich lange begleitet.«
»Ich habe Falkenberg sehr gut kennengelernt«, sagte Bernina,
beinahe mehr zu sich als zu dem Arzt.
»Nicht nur kennen, wie ich vermute«, warf er mit leiser Stimme ein.
»Nein, wohl auch lieben. Wie Sie es
vorhergesehen haben, oder? Deshalb wollten Sie auch nicht, dass ich im Palast
bleibe.«
»Nun ja. Ich dachte mir in der Tat, dass es Ihnen schwerfallen
würde, sich seiner Anziehungskraft zu entziehen. Und irgendetwas gefiel mir
nicht daran. Ein Mann wie er, so faszinierend er auch sein mag, übt nicht
unbedingt einen guten Einfluss auf seine Mitmenschen aus.«
»Eine Zeit lang sah es danach aus, als würde eher ich genau das
tun. Er war so verändert. Aber in Wirklichkeit …« Sie zuckte unschlüssig
mit den Schultern. »Vorhin sagte ich, ich hätte ihn sehr gut kennengelernt.
Aber ich glaube, das war falsch. Wahrscheinlich kann man Jakob von Falkenberg
gar nicht richtig kennen.«
»Das mag sein.« Es war nicht das, was Poppel sagte, sondern eher,
wie er es aussprach. Er verstand es wirklich, auf einfache Art viel Verständnis
in seine Stimme zu legen.
Und nach einer Pause fügte er hinzu: »Übrigens habe ich hier und
da auch den Namen Petersthal-Hof gehört. Selbstverständlich habe ich dabei
gleich an Sie denken müssen.«
Bernina lächelte ihn an. »Sie können mir nicht weismachen, dass
das zufällig geschah. Sie haben ganz gezielt Fragen gestellt, nicht wahr? Geben
Sie es zu.«
Poppel erwiderte ihr Lächeln. »Nun ja, vielleicht nicht ganz so zufällig.«
Ein ironisches Zwinkern, wie früher schon oft. »Ich merkte natürlich, wie sehr
Sie die Sache beschäftigte. Und so hielt ich die Ohren auf.«
»Was haben Sie denn erfahren, Herr Poppel?«
»Gar nicht so einfach, darauf zu antworten. Nichts, was sehr klar
wäre. Jeder scheint von dem Hof gehört zu haben, aber keiner etwas Genaues zu
wissen. Es ging um …«
Doch da ließ ein leichtes Stöhnen Bernina hochfahren.
Anselmo hatte sich im Schlaf herumgedreht.
Nun blinzelte er gegen das von Regenwolken geschwächte Tageslicht, das milchig
durch das Rundfenster ins Innere strömte. Erneut ein Stöhnen. Es war das erste
Mal seit Ewigkeiten, dass sie seine Stimme hörte.
»Anselmo.« Bernina wisperte seinen Namen, ohne dass es ihr bewusst
war – ebenso wenig wie das rücksichtsvolle Verschwinden Melchert Poppels,
der sich mit dem Becher in der Hand aus dem Raum schob.
Sie stürzte zu ihm hin und er richtete sich mühevoll auf.
Lange schauten sie sich an, sehr lange. Ein Moment, den sie
herbeigesehnt hatten. Ein Moment, von dem sie beide oft genug gedacht hatten,
er würde niemals kommen.
»Du bist es tatsächlich«, flüsterte Anselmo irgendwann, und erst
da zeigte sich auf seinem schmaler gewordenen Gesicht dieses unwiderstehliche
Lachen, das so viele schöne Erinnerungen in Bernina aufwühlte.
Sie küssten sich. Er drückte sie an sich, und erneut kam Bernina
alles unwirklich, traumhaft vor.
»Wir sind wieder
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