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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Melchert Poppel, der ihr gesagt hatte, er habe Anselmo bei sich
untergebracht, um ihn jederzeit im Auge behalten zu können.
    Sie erschrak ein wenig, als plötzlich die Tür aufging. Poppel
schlüpfte herein und ließ sich auf einen der Schemel sinken. Wie müde er
aussah, wie erschöpft. Um wie viele Verletzte mochte er sich in der
Zwischenzeit gekümmert haben? Aber er lächelte.
    »Es ist wirklich schön, Sie wiederzusehen, meine liebe Bernina.«
Leise seine Stimme, rasselnd sein Atem, wie zuvor, als sie sich auf dem Weg
hierher befunden hatten.
    »Legen Sie sich doch ein wenig hin«, erwiderte Bernina ebenso
leise. »Sie haben es sich verdient.«
    »Machen Sie mir vorher noch die Freude und
setzen Sie sich zu mir. Ich würde so gern hören, wie es Ihnen ergangen ist.«
Aus einem Zinnkrug goss er sich Rotwein in einen Becher. »Wer weiß, wie lange
uns dieser Moment der Ruhe vergönnt sein wird.« Er schüttelte den Kopf. »Sieht
nämlich schlecht aus da draußen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Die Truppen Arnim von der Taubers sind in der Überzahl, meine
Liebe. Benedikt von Korths Männern ist es gelungen, ihn noch einmal
zurückzudrängen. Aber ich denke, beim nächsten Angriff wird er keine halben
Sachen mehr machen. Die kaiserlichen Truppen werden untergehen. Die ganze Stadt
wird untergehen. Und mit ihr auch wir, meine Liebe. Was für eine tragische
Ironie, Bernina, meinen Sie nicht? Ausgerechnet in dem Augenblick, als Ihre
Suche nach Anselmo doch noch erfolgreich war.«
    »Es ist besser, ihn auf diese Weise zu finden – als überhaupt
nicht.«
    Mit leicht zitternder Hand führte er den Becher an die Lippen.
»Darauf trinke ich.«
    »Ohne Sie, Herr Poppel, hätte ich nicht einmal erfahren, dass er
noch am Leben ist. Ich habe Ihnen schon so viel zu verdanken, aber dass Sie die
Suche nach ihm nicht aufgaben – damit haben Sie mir das größte Geschenk
gemacht.«
    »Das bedeutete doch keine große Mühe für mich«, entgegnete Poppel
in seiner typischen Bescheidenheit. »Doch auch Eusebio hat seinen Teil dazu
beigetragen – und er musste mit dem Leben bezahlen.«
    »Das werde ich nie vergessen.«
    »Ich weiß, meine liebe Bernina.« Poppel gähnte. »Aber nun setzen
Sie sich zu mir. Anselmo wird gewiss noch eine Weile schlafen. Übrigens auch
dank Ihres Zaubermittels. Ich habe den roten Fingerhut schätzen gelernt. Er hat
mir viele gute Dienste geleistet, auch wenn ich anfangs meine Zweifel hatte.«
    »Wie steht es wirklich um Anselmo?«
    »Er ist geschwächt, aber alles in allem hat er die
Schussverletzung sehr gut weggesteckt.«
    »Es hat ihn schwer erwischt.«
    »Ja.« Der Arzt trank noch einen Schluck Wein
und lächelte. »Es ist schon komisch, aber wissen Sie was? Die Kugel hat ihn
ziemlich genau an der gleichen Stelle getroffen wie damals den Oberst. Sie saß
nur nicht ganz so tief.« Flüchtig deutete er kurz an seine Hüfte. »Ich habe
praktisch den Eingriff vorgenommen wie bei Falkenberg. Mit denselben
Hilfsmitteln. Verrückter Zufall, nicht wahr? Oder schon wieder eine ganz besondere
Ironie.«
    »Die Hauptsache ist, dass es Anselmo gut geht.«
    »Wie es Falkenberg geht, würde mich aber auch interessieren, das
muss ich zugeben.« Poppels Blick lag auf ihr, wie schon so oft. Irgendwie
wissend.
    In knappen Worten erklärte Bernina, dass sie nicht einmal wusste,
ob Falkenberg überhaupt noch am Leben war.
    Der Arzt war überrascht. Doch als sie nichts erwiderte, meinte er
nur zurückhaltend: »Ich nehme an, Sie möchten nicht über Falkenberg sprechen,
Bernina.«
    »Nicht unbedingt, Herr Poppel.«
    Immer noch blickte er sie an. Melchert Poppel musste keine
Einzelheiten kennen, um alles zu durchschauen. Manchmal war es, als könne er
die Wahrheit geradezu spüren.
    »Bernina«, sagte er, »ich habe oft über die vielen Gespräche
nachgedacht, die wir geführt haben. Können Sie sich noch erinnern, als wir uns
zum Beispiel über Falkenbergs Vater unterhielten? Damals wusste ich nicht viel
über ihn. Aber inzwischen habe ich mehr über ihn erfahren. Bei einem Umtrunk
mit irgendwelchen Offizieren. Nun ja, eine geheimnisvolle Geschichte.«
    Bernina wartete.
    »Falkenbergs Vater soll ein wichtiger Mann in den Diensten des
Kaisers gewesen sein. Ein überaus wichtiger Mann. Und dann entpuppte er sich
wohl als Verräter. Er muss irgendetwas geplant haben, etwas Gewaltiges. Aber er
wurde entlarvt. Bevor man ihn zur Rechenschaft ziehen konnte, hat er sich
abgesetzt.«
    Sie hatte aufmerksam zugehört und

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