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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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verströmten noch dieses geisterhafte Licht. Es war
eine scheinbar endlose Nacht, in der Offenburg sich vom ersten Aufbranden der
Schlacht zu erholen versuchte. Wie eine allerletzte Drohung schwebte die
Dunkelheit über den Dächern.
    Seit dem letzten Regen war einige Zeit verstrichen, doch die
Dämmerung war immer noch nicht da. Diese Ruhe, die in Berninas Ohren knisterte.
Von dem Hass, den sie in sich wie ein Feuer gespürt hatte, war nichts mehr
übrig. Nun war da nur noch ein Bangen, ein Hoffen. Sie saß auf einem kleinen
Hocker im Erdgeschoss des Turmes, nahe der Eingangstür. Ihr Blick ruhte auf
Balthasar, der gerade den drei kaiserlichen Soldaten Wasser gebracht hatte. Sie
waren in einer kleinen Kammer eingesperrt, die sich gegenüber des Turmeingangs
befand. Eigentlich hatten ihn zwei von ihnen in Schach halten sollen, aber ihm
war es gelungen, sie in einem Moment der Unaufmerksamkeit zu überwältigen und
jeden mit einem einzigen Hieb bewusstlos zu schlagen. Dann war er die paar
Stufen nach oben gerannt, um mit dem dritten Mann genauso zu verfahren.
    Nur drei Soldaten. Es war Glück, dass der Oberst nicht mehr Männer
mitgebracht hatte. Gewiss hätte er nie gedacht, sie würden nicht ausreichen.
Mit Balthasar hatte er einfach nicht rechnen können.
    Der lehnte sich nun bequem an die Wand und richtete seine Augen
auf Bernina. »Du brauchst dir keine Sorgen mehr machen. Es hätte viel schlimmer
ausgehen können. Er wird es schaffen.«
    »Ja, Anselmo wird es schaffen.«
    Doch das Bangen war noch immer in ihr. Diese Unsicherheit. Wie um
die eigenen nagenden Zweifel zu entkräften, rief sie sich Melchert Poppels
Worte ins Gedächtnis. »Die Klinge ist tief eingedrungen, hat allerdings keines
der Organe erwischt … zwar einiges an Blut verloren … eine Rippe
vielleicht angekratzt … aber Anselmo hat ja schon Schlimmeres
überstanden …«
    Balthasar löste sich von der Wand und nahm an einem schweren, grob
gezimmerten Holztisch Platz, der nur ein paar Schritte von Bernina entfernt
war. Er spielte mit der Axt, die in seiner Hand wieder einmal ganz klein
wirkte. In seinem Gürtel steckten zwei Pistolen, seine eigene und die des
Obersts. Die Verwundeten waren alle in den beiden obersten Stockwerken verteilt
worden. Die meisten von ihnen schliefen, ein paar dösten still vor sich hin.
    An dem Tisch im Eingangsbereich saß auch ein weiterer Mann,
vollkommen ruhig, die Beine entspannt ausgestreckt, als hätte sich nicht das
Geringste ereignet in dieser Nacht. Kein Wort war mehr über seine Lippen
gekommen, und in den grauen Augen schimmerte neben seinem gewohnten Stolz eine
gewisse Gleichgültigkeit. Stumm hatte er es hingenommen, als Balthasar seine
Handgelenke fesselte und ihn die Treppe hinunterführte. Zuerst wollte Balthasar
ihn zu seinen Untergebenen in die Kammer einsperren, aber die erwies sich als
zu eng. Seither saß Jakob von Falkenberg auf diesem einfachen, etwas schiefen
Holzstuhl, die Hand und die Manschette, in der sein linkes Handgelenk endete,
zusammengebunden in den Schoß gebettet. Sein Mund war nur ein spöttischer
Strich.
    Bernina zuckte zusammen, als sich die Tür im oberen Stockwerk
öffnete. Gebeugt, mit schleppendem Schritt wankte Poppel in den Eingangsbereich
des Turmes. Auf der untersten Stufe blieb er stehen, um sich mit der Hand auf
dem Geländer zu stützen.
    »Es sieht gut aus«, sagte er in Berninas Richtung.
    Sie fühlte, wie die Erleichterung das Bangen in ihr beiseite
drückte. »Er kommt durch?«
    »Oh, ganz sicher kommt er durch. Er hat eine ganze Weile
geschlafen, dann ist er kurz aufgewacht.«
    »Kann ich zu ihm?«
    »Gönnen Sie ihm noch ein wenig Ruhe. Später werden wir beide
zusammen nach ihm sehen.« Ein mildes Lächeln schlich sich in Poppels Gesicht.
»Er war übrigens sehr froh, Bernina, dass Sie nicht geschossen haben. Und ich
auch.«
    Bernina nickte nur und vermied es, Falkenberg anzusehen.
    Poppel trat an den Tisch und ließ sich auf den letzten freien
Stuhl sinken. Er blickte zu Balthasar, dann wieder zu Bernina, nicht jedoch zum
Oberst. »Ihr wisst«, meinte er, »was für Konsequenzen es für uns hat, wenn wir
einen der wichtigsten Offiziere des Kaisers entwaffnen und fesseln.«
    »Deshalb sollten wir verschwinden«, brummte Balthasar. »Nur dass
Sie jetzt mit uns kommen müssen, Herr Poppel. Sonst geht es Ihnen an den
Kragen.«
    »Ohne Anselmo gehe ich ganz gewiss nirgendwo hin«, erklärte
Bernina entschieden. »Und so wie es im Moment um ihn steht, kann er

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