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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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jetzt!«
    Einer nach dem anderen schlüpften sie in den
Schankraum. Nach ein paar Sekunden hatten sich ihre Augen an das Dunkel
gewöhnt, und sie erkannten Einzelheiten. Tische, Stühle, Bänke, ein Brett, das
auf zwei Fässer gelegt worden war und als Ausschank diente. Die
Fensteröffnungen waren nicht mit Glas, sondern nur durch Tierhäute abgedichtet.
Es roch stark nach Schmutz und Mäusen, nach verschüttetem, eingetrocknetem
Bier.
    »Ich kenne diese billige Kaschemme«, meinte Anselmo mit einem
traurigen Lachen. »Aber ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal hierher
zurückkehren würde.«
    Draußen auf dem Pflaster hörten sie die Schritte von Soldaten, die
die Straße an der Vorderseite des Hauses hinabliefen.
    Falkenberg setzte sich auf einen Stuhl, während Balthasar ihn
nicht aus den Augen ließ.
    »Wie lange wollen wir hier abwarten?«, fragte Poppel.
    »Bis draußen wieder alles still ist«, antwortete Anselmo.
    Nach und nach setzten sie sich alle irgendwo hin. Bernina wählte
einen Platz in der Nähe Anselmos.
    »Ich kann diese Warterei nicht mehr aushalten«, seufzte Balthasar
nach einer Weile. »Ich sehe mich draußen um.«
    »Zu gefährlich«, warnte Anselmo.
    »Ich komme mit Gefahr zurecht.« Er richtete sich auf und hielt
eine der beiden Pistolen in die Höhe. »Aber jemand muss den Oberst im Auge
behalten.«
    »Das übernehme ich.« Anselmo wollte sich erheben, doch Berninas
Hand lag schon auf seiner Schulter.
    »Nein«, sagte sie mit klarer Stimme. »Du nutzt die Zeit, um dich
auszuruhen. Ich werde das erledigen.«
    Anselmo wollte widersprechen, aber ihr Blick ließ das nicht zu.
Sie nahm die Pistole entgegen. Der Griff der Waffe war warm von Balthasars
Hand. Bernina vermied es, den Abzug zu berühren. Sie setzte sich auf den Stuhl
neben dem Oberst, der sie amüsiert betrachtete.
    »Bernina, du hast schon einmal die Gelegenheit verpasst, auf mich
zu schießen. Wie sieht es diesmal aus?«
    »Das liegt allein bei dir«, erwiderte sie ruhig.
    Nachdem Balthasar nach draußen gegangen war, breitete sich wieder
Stille aus. Sie entzündeten keine der herumliegenden Kerzen. Keiner von ihnen
sagte etwas. Bernina fühlte Falkenbergs Blick auf sich. Sie erahnte, dass es
nicht lange dauern konnte, bis er etwas zu ihr sagen würde. Und sie behielt
recht.
    »Du hättest vorhin ruhig schießen können, Bernina. Ich hätte es
dir nicht übel genommen.«
    »Ich bin froh, dass ich es nicht getan habe.«
    Ein abfälliges Zischen. »Ich nicht.«
    Nun sah sie ihn offen an. Sie nahm den Glanz seiner Augen inmitten
des schummrigen Halbdunkels dieses Wirtshauses wahr. »Wie kannst du nur so
etwas sagen?«
    »Weil ich da bin, wo ich bereits einmal war. Damals, als ich dich
traf. Als ich bei jeder Schlacht hoffte, die tödliche Kugel würde mich
erwischen. Der Tod löst keinen Schrecken in mir aus.«
    Wie schon einmal in dieser Nacht entstand vor Berninas Augen das
Bild aus der Festung. »Ich dachte, du hättest den Tod längst gefunden.«
    Er hob die Arme und berührte mit der gefesselten Rechten kurz den
Verband unter seinem Hut. »Ich habe einen ziemlichen Dickschädel, der hält
leider einiges aus.« Noch leiser fügte er an, wie zu sich selbst: »Dafür ist
jemand anders dort gestorben, in diesem Wald, in dieser Festung.«
    »Der Mann, der mich entführt hat, ist also tot? Graf Pietro della
Valle.«
    »So hieß er nicht wirklich. Er versteckte sich hinter vielen
Namen. Aber nun ist er tot, ja. Er saß in der Falle. Mit dem Rest seiner Männer
in einem der Festungstürme, umgeben von Flammen und den Musketen meiner
Soldaten.«
    »Flammen?«
    »Ich hatte eine Kanone mitgebracht. Als letztes Mittel, wenn du es
so nennen willst. Einige meiner Männer zogen sie durch den Wald. Sie beschossen
die Festungsmauer, den Turm, dann die übrigen Türme, auch wenn sich dort
niemand aufhielt. Die Festung gibt es jetzt nicht mehr. Und auch diesen Mann
nicht.«
    Bernina äußerte nichts, aber sie musste an die Bemerkung
Balthasars über geheime Gänge denken, die es angeblich in der Festung geben
sollte. Aber eigentlich war es etwas anderes, das ihre Gedanken festhielt. Und
sie hörte sich sagen: »Du hast deinen eigenen Vater umgebracht.«
    Ein Moment vollkommener Ruhe.
    »Du weißt also, wer er war?«
    »Lange Zeit wusste ich es nicht. Und auf einmal sah ich es einfach
vor mir. In dieser Festung. Ich stellte mir das weiße Haar dieses Mannes blond
vor. Seine Haut nicht so bleich. Es wundert mich, dass es mir nicht viel

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