Das Geheimnis der Krähentochter
früher
aufgefallen war. Eigentlich hätte ich es sofort sehen müssen, dass ihr Vater
und Sohn seid. Ich musste mir dich nur älter vorstellen und die Angst
vergessen, die der Graf mir einjagte.«
»Jetzt kann er keine Angst mehr verbreiten.«
»Warum ließ er mich entführen? Warum wollte er dadurch Druck auf
dich ausüben? Was wollte er von dir?«
»So wenig und doch so viel.« Das Spöttische war völlig aus
Falkenbergs Stimme verschwunden. »Er wollte, dass ich ihn endlich wieder als
meinen Vater anerkenne. Dass ich mein Erbe antrete. Ich sollte eines seiner
Güter beziehen und der Welt verkünden, dass die Falkenbergs niemals aussterben
werden. Er wollte, dass ich mich beim Kaiser dafür einsetze, dass er
rehabilitiert wird. Aber wie gesagt …« Ein schwaches Seufzen des Obersts.
»Vor allem ging es ihm darum, dass ich wieder sein Sohn bin. Er schrieb mir
Briefe, Bittbriefe, in denen er sich erniedrigte, in denen er mich anflehte,
ihm zu verzeihen. So viele Briefe. Boten brachten sie mir. Manchmal, wie in
jener Nacht auf Schloss Wasserhain, warf er seine Botschaften einfach in Lederetuis
vor die Tür.«
»Ich habe dir einen dieser Briefe weggenommen. Aber du hast ihn
bei mir entdeckt, nicht wahr?«
»Ja, ich nahm ihn an mich. Ich sah, dass du etwas vor mir
verbergen wolltest, und durchsuchte dein Zimmer. Da stieß ich auf den Brief.
Ich wollte nicht, dass du irgendetwas über diesen Mann erfährst. Er war krank,
sehr krank, und er hatte ohnehin nicht mehr lange zu leben. So wollte er diese
eine Sache zu Ende bringen. Nachdem es mit Bitten nicht klappte, sah er in
dieser Entführung eine letzte Chance, mich umzustimmen. Er forderte meine
Unterschrift, mit der ich versichern sollte, das Erbe der Falkenbergs
anzutreten. Es war ein Akt völliger Verzweiflung. Als er einsah, dass er mich
als Sohn nie zurückgewinnen würde, versuchte er wenigstens durchzusetzen, dass
das Erbe der Falkenbergs gerettet werden würde. All die Paläste und Ländereien
sollten in den Händen eines Falkenbergs bleiben. In meinen.«
Bernina spürte, wie froh er war, zum ersten Mal alles erzählen zu
können. Sie ließ ihm Zeit, bevor sie ihm eine Frage stellte: »Du sagst, er hat
dich zurückgewinnen wollen – aber wie kam es, dass er dich verlor?«
Er lachte auf. Ein Ton der Enttäuschung. »Weißt du, Bernina, er
war immer mein Held. Thadeus von Falkenberg war all das, was ich sein wollte.
So hieß er in Wirklichkeit, mein Vater. Er war ein bedeutender Mann. Gleich
nach Oberbefehlshaber Wallenstein ein hochrangiger Offizier in der Armee des
Kaisers. Doch sein Ehrgeiz verlangte nach mehr. Mein Vater wollte Wallensteins
Platz einnehmen. Er schreckte nicht vor Verrat zurück und plante ein Attentat
auf Wallenstein.« Falkenberg holte Luft. »Ich erfuhr davon. Doch ich wollte
kein Verräter sein. Ich musste mich entscheiden. Für meinen Vater oder gegen
ihn. Und ich entschied mich.«
»Gegen deinen Vater.«
»Während einer großen Schlacht bei Nürnberg verhinderte ich das
Attentat. Ich tötete die bezahlten Mörder, und Wallenstein überlebte. Es kam
heraus, wer den Plan ausgeheckt hatte. Ich machte Karriere in der Armee des
Kaisers, aber mein Vater war entehrt. Er tauchte unter, wurde zu einem
Vogelfreien. Er hatte immer noch viele Besitztümer, aber er hielt sich
nirgendwo länger auf. Er vermehrte seinen Besitz durch Raubzüge. Es war, als
würde etwas in ihm brennen, etwas, das ihn immer tiefer in den Abgrund zog.«
»Er hat dich durch seinen Verrat verloren.«
Falkenberg nickte gedankenschwer. »Nicht nur durch seinen Verrat.«
»Wie meinst du das?« Bernina ließ ihren Blick durch das Wirtshaus
wandern. Weder von Anselmo noch von Poppel war etwas zu hören. Offenbar waren sie
eingenickt. Wo bleibt Balthasar?, dachte sie kurz.
»Als mein Vater bereits untergetaucht war«, fuhr Falkenberg fort,
»also nach dem gescheiterten Attentat, erfuhr ich noch viel mehr über ihn.«
Sarkastisch setzte der Oberst hinzu: »Und dann war er endgültig nicht mehr mein
Held.«
»Was hat er getan?«
»Er sank unwiderruflich in meiner Achtung. Thadeus von Falkenberg
war schon immer ein eifersüchtiger, von Gier zerfressener Kerl gewesen. So
versessen wie er darauf war, Wallensteins Platz einzunehmen, so versessen war
er offenbar bereits früher gewesen, seinen eigenen Bruder zu übertrumpfen.«
Falkenberg lehnte sich zurück. Er sah an Bernina vorbei ins Nichts.
»Von diesem Bruder habe ich nie etwas gehört.«
»Der Bruder, also
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