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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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und
lief, durch die Büsche, durch die Sträucher. Dornen zerfetzten ihr Kleid,
rissen an der Haut ihrer Arme. Die ersten Bäume empfingen sie, dann war sie
endlich da, die schützende Dunkelheit des Waldes.
    Erneut Schüsse. Und plötzlich Stille. Balthasar stützte Melchert
Poppel, während Anselmo den Arm um Bernina gelegt hatte. Nicht nur der Arzt,
alle keuchten sie schwer. Buchen, Tannen und Haselnusssträucher zogen einen
engen Kreis um sie, schützten sie vor Blicken.
    »Wo ist der Oberst?«, fragte Balthasar.
    »Plötzlich war er weg«, sagte Anselmo. »Ich konnte nicht mehr auf
ihn achten.« Er setzte sich in die feuchte, schwere Walderde. »Ich hatte das
Gefühl, keinen einzigen Schritt mehr zurücklegen zu können.«
    Wieder Rascheln.
    Anselmo stand sofort wieder auf, hob seine Pistole an. Auch
Balthasar hielt die Waffe schussbereit.
    Büsche wurden auseinandergedrückt, und im
nächsten Moment stand Jakob von Falkenberg vor ihnen. Er hatte den Hut
verloren, und der Verband hing nur noch lose um seinen Kopf. Seine Handgelenke
waren nach wie vor fest verschnürt. Er sah Bernina an. Nur sie, als gäbe es die
anderen überhaupt nicht. Mit einem Ausdruck, den sie noch nie an ihm bemerkt
hatte. Erleichtert, sanft, friedfertig, ohne seinen Spott. Nicht einmal in den
Tagen, in denen er mit den Planungen für die Hochzeit beschäftigt war, hatte er
so auf sie gewirkt. Sein Mund lächelte.
    »Jetzt habe ich das gekriegt«, meinte er leichthin, »was ich
wollte. Nachdem ich dich nicht bekommen konnte, Bernina, war es das, was ich
mir noch wünschte.«
    Plötzlich perlten rote Tropfen über seine Lippen und flossen an
seinem Kinn herab.
    Falkenbergs Lächeln blieb unverändert. Langsam sank er in die
Knie.
    Auch Bernina fiel auf die Knie, und ein letztes Mal trafen ihre
dunklen Augen seine grauen.
    Er bewegte erneut seinen Mund, allerdings drang kein Laut mehr
über seine Lippen. Im allerletzten Blick seines Lebens schien sich noch einmal
seine ganze Kraft zu bündeln, dann kippte er vornüber, bis sein Gesicht hart
auf die Erde schlug. Auf seinem von teurem Stoff verhüllten Rücken hatte sich
ein See aus Blut gebildet. Die tödliche Kugel hatte Jakob von Falkenberg genau
zwischen die Schulterblätter getroffen.
     
    *
     
    Der Schrei der Krähe war laut und durchdringend. Bernina öffnete
ihre Augen und sah durch die leere Türöffnung des Bretterverschlages nach
draußen. Erst war ihr Blick noch verschwommen, dann zeichneten sich die Umrisse
einer einsamen Buche ab. Erneut das Krächzen der Krähe. Bernina verfolgte, wie
der Vogel sich von einem der oberen Äste in die klare, kühle Morgenluft aufschwang.
Mit langsamem Flügelschlag beschrieb die Krähe einen Kreis, bis sie schließlich
aus Berninas Blickfeld verschwand. Es war kälter geworden. Der Sommer nahm
seinen Abschied.
    Bernina wand sich behutsam aus Anselmos Arm, der zärtlich und
beschützend um sie lag. Er erwachte nicht, ebenso wenig wie Melchert Poppel.
Der Arzt lag nur einen Schritt entfernt, so laut schnarchend, dass man meinte,
etwas in seiner Kehle könne jeden Moment zerreißen. Seit zwei Tagen und zwei
Nächten hörte Bernina nun dieses Schnarchen. Es klang krank und gefiel ihr
überhaupt nicht.
    Auch Anselmo hatte fast durchgehend geschlafen, seit sie nach dem
langen Marsch, der sie in der Morgendämmerung von Offenburg weggeführt hatte,
zufällig am Rande eines Waldes in diesem halb verfallenen, wohl früher von
Schaf- oder Kuhhirten benutzten Bretterverschlag Unterschlupf gefunden hatten.
Doch Anselmo wirkte im Gegensatz zu Poppel gesünder – er schien sich gut
zu erholen.
    Auch Bernina fühlte sich besser. Nur ihre Füße schmerzten ein
wenig von dem Marsch, aber das war nicht schlimm. Obwohl sie eine der
nächtlichen Wachen übernehmen wollte, hatte Balthasar, der fast die ganze Zeit
aufmerksam und konzentriert war, sie einfach ruhen lassen. Hin und wieder wurde
sie aus dem Schlaf gerissen, von Geräuschen, die es gar nicht gab, von
flirrenden nebelhaften Bildern, von Traumfetzen, in denen graue Augen sie
anstarrten, in denen Oberst Jakob von Falkenberg immer wieder aufs Neue den Tod
fand. Selbst jetzt war sich Bernina immer noch nicht im Klaren darüber, was sie
für Falkenberg wirklich empfunden hatte.
    Mit einem großen Schritt trat plötzlich Balthasar in den
Bretterverschlag. »Aufstehen«, bat er mit einem Lachen. »Es gibt etwas zu
essen.«
    Beim Klang seiner Worte erwachten nacheinander Anselmo und der Arzt.
    Der Proviant aus

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