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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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beendete Anselmo den
Satz.
    Erst jetzt fiel Bernina auf, dass Tageslicht hinter den Tierhäuten
aufleuchtete, die die Fensteröffnungen verdeckten. Es war früher Morgen, diese
endlose Nacht hatte doch noch ein Ende gefunden.
    »Aber uns bleibt nichts anderes übrig, als es zu versuchen«, ergänzte
Balthasar. »Es bringt auch nichts, uns noch einen weiteren Tag hier zu
verkriechen und die nächste Nacht abzuwarten. Wer weiß, ob es Offenburg nach
dem heutigen Tag überhaupt noch gibt. Außerdem wird uns der Nebel helfen, den
der Regen gebracht hat. Falls wir nicht warten, bis er sich schon wieder
verzogen hat.«
    Bernina nickte zögernd. »Also gut, dann auf zu einem zweiten
Versuch.« Sie sah zu Melchert Poppel. »Sind Sie bereit? Trauen Sie es sich zu?«
    »Ich bin nicht bereit, und ich traue es mir auch nicht zu.« Er
lächelte. »Aber wagen werde ich es trotzdem.«
    Anselmo trat einen Schritt nach vorn und bedachte den einzigen
unter ihnen, der noch saß, mit einem harten Blick.
    »Worauf warten Sie noch, Oberst?«
    Falkenberg grinste sie alle der Reihe nach an. Und erst als
Balthasar die Waffe auf ihn lenkte, erhob er sich. »Na dann los, meine
Freunde«, meinte er mit einer Stimme, die vor Ironie triefte. »Ich freue mich
auf unseren kleinen Ausflug.«
    Ohne dass ein weiteres Wort geäußert wurde, machten sie sich auf
ihren ungewissen Weg. Es war merkwürdig, aber jetzt, im schleichenden Licht des
Morgens, kam es Bernina kühler vor als in der zurückliegenden Nacht.
Wahrscheinlich hing die feuchte Kälte mit dem Nebel zusammen, dessen Schwaden
an den Wänden der Gebäude klebten. Sie fröstelte, als sie sich durch die Gassen
Offenburgs schob, Schritt für Schritt hinter Balthasar, der die Führung
übernommen hatte, während nun Anselmo den Schluss bildete und den Oberst im
Auge behielt.
    Wie zuvor kamen sie langsam voran, jeder von ihnen angespannt,
immer in Erwartung, von fremden Augen ertappt zu werden. Die Sonne kletterte
noch ein wenig höher und tauchte den Himmel in ein sanftes gelbliches Licht.
    Rasch wurde klar, weshalb Balthasar diesen Weg vorgeschlagen
hatte. Einer nach dem anderen schlichen sie zwischen eng beieinanderstehenden
Häusern hindurch. Hier schienen eher arme Leute zu wohnen. Schäbige, mit Stroh
abgedeckte Gebäude, ähnlich dem Wirtshaus. Solche Unterkünfte wurden von
Soldaten für gewöhnlich nicht als vorübergehendes Lager ausgesucht. Unrat und
Matsch, vom Regen aufgeweichte Erde, die jedem vorsichtig gesetzten Schritt ein
schlürfendes Geräusch entlockte.
    Dann erschien es beinahe, als würden die flachen, traurig
aussehenden Häuser zur Seite treten, um eine Schneise für sie zu öffnen.
Bernina spähte an der hünenhaften Figur Balthasars vorbei nach vorn.
    Unweit der Häuser verlief ein dürftiges, schmales Bächlein, an
dessen jenseitigem Ufer ein dichtes Geflecht aus Sträuchern und Büschen seinen
Anfang nahm. Wiederum ein gutes Stück dahinter ragten die ersten Bäume eines
Buchenwaldes empor.
    »Du hast einen guten Weg ausgesucht«, meinte Bernina im Flüsterton
zu Balthasar, der stehen geblieben war.
    »Hier haben wir eine Chance«, murmelte er und warf einen Blick in
die Gesichter der anderen. »Wir müssen versuchen, die Büsche ungesehen zu
durchqueren und in den Wald zu kommen. Dann geradewegs durch den Wald. Wenn wir
sein Ende erreichen, haben wir es vielleicht geschafft. Aber Vorsicht: Hier
wirkt alles sehr friedlich. Doch gerade eine so unübersichtliche Stelle wird
bestimmt nicht völlig unbewacht gelassen.«
    »Ja, Augen offen halten«, pflichtete Anselmo
ihm bei. »Arnim von der Taubers Soldaten werden die gesamte Stadtgrenze im
Blick behalten. Sie werden nicht wollen, dass jemandem die Flucht aus Offenburg
gelingt. Offenburg ist der Preis für den Sieger.«
    »Ich will nur noch weg von hier«, hörte sich Bernina leise sagen.
    Anselmo schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Dann wurde er
sofort wieder ernst. »Lasst uns weitergehen.«
    Zunächst lief alles glatt. Als sie jedoch an den Bach gelangten,
hörten sie den ersten Schuss.
    Sie sprangen über das Wasser hinweg. Weitere Schüsse. Keiner
machte sich Gedanken, woher sie kamen, jeder rannte einfach, so schnell er
konnte. Berninas Hand schloss sich um Anselmos. Noch mehr Schüsse.
    Einmal meinte Bernina, einen merkwürdigen Laut zu hören, ein
kurzes Plopp, als würde eine der Kugeln auf einen menschlichen Körper treffen,
aber sie war sich nicht sicher, dachte auch nicht darüber nach, sie lief

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