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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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hatte, sie, Bernina, würde das Unheil über ihre
Gruppe bringen. Und sie dachte an die Krähenfrau, an deren gleichsam düstere
Prophezeiungen.
    Während Bernina auf das vom Krieg heimgesuchte Ippenheim sah,
wühlte immer stärker die Frage in ihr, ob das alles wirklich nur Aberglaube
war. Die Hirngespinste zweier verrückter Weiber, von denen die eine Angst
hatte, wieder in tiefster Einsamkeit leben zu müssen, und die andere einfach
kein neues Mitglied in einer kleinen, verschworenen Truppe wünschte.
    Oder war es eben doch kein Aberglaube? War daran etwas Wahres?
    Bernina ging weiter, verzweifelt und ängstlich, durch eine Welt,
die auf einmal zu groß und bösartig für sie geworden zu sein schien. Schon von
Weitem sah sie, dass die Eingangstore des Rathauses offen standen. Kein
Wachposten war zu entdecken. Jetzt konnte sie sich nicht mehr von ihrer
Vorsicht beherrschen lassen. Sie ging nicht mehr, sie rannte, schneller und
immer schneller, doch was sie beim ersten Blick auf das Gebäude befürchtet
hatte, stellte sich als wahr heraus.
    Das Rathaus war aufgegeben worden. Keine Soldaten, keine
Gefangenen mehr. Sie sah nur leere Flure, leere Zimmer. Ihre Schritte hallten
in einer hohlen Hülle aus Mauern wider.
    Am liebsten hätte sie laut seinen Namen geschrien.
    Hatte sie Anselmo verloren? Für immer? Kalt durchfuhr es ihr
Innerstes. Lebte er überhaupt noch?
    Ratlos verließ sie den Bau wieder, um eine weitere menschenleere
Straße hinabzulaufen, einen Weg, den sie schon einmal genommen hatte, nur in
umgekehrter Richtung. Bald kam sie zu der Mauer, deren Verlauf sie gestern mit
ebenso eiligen, ebenso verzweifelten Schritten gefolgt war. Sie bog um die Ecke
und stürzte durch das Tor hindurch, das wiederum geöffnet war.
    Das Erste, was Bernina sah, waren die Krähen, die sich auf der
Statue des Ritters niedergelassen hatten, auf den Schultern, auf dem Helm. Die
Vögel betrachteten sie, als hätten sie ihr Erscheinen erwartet.
    Das Haus, eingekreist von dem Ring aus Kastanienbäumen und der
Mauer, wirkte unverändert. Bis auf die zwei toten Soldaten, die wenige Meter
vom Eingang entfernt auf der Erde lagen. Jetzt wieder langsamer schritt Bernina
in das herrschaftliche Gebäude. Ein paar Wortfetzen des Gesprächs mit dem
Oberst geisterten durch ihre Gedanken. Sie sah ihn vor sich, seine kerzengerade
Gestalt. Er war die einzige Hoffnung, die sie noch besaß, auf eine Spur von
Anselmo zu stoßen.
    Doch auch hier: Leere. Jedes der Zimmer, in das sie einen Blick
warf, bot den gleichen Anblick. Nichts als Verwüstung und getötete Soldaten.
Offenbar war es gerade hier zu vielen Kämpfen Mann gegen Mann gekommen.
    Zuletzt suchte sie den Raum auf, in dem das Gemälde hing. Das
Zimmer schien als eines von wenigen unberührt von den Gefechten. Dieses Mädchen
mit dem blauen Kleid. Noch einmal betrachtete Bernina eingehend das Kunstwerk,
als dürfe sie kein Detail davon vergessen.
    Dann wandte sie sich um – und abrupt hielt sie mitten in der
Bewegung inne. Sie starrte in die Augen eines Mannes.
    Keiner von ihnen beiden sagte ein Wort.
    Er war durchaus vornehm gekleidet, aber nicht edel. Recht groß,
jedoch schon etwas gebeugt. Sein Blick war wachsam, allerdings konnten seine
Augen eine gewisse Erschöpfung nicht verbergen. Und er war schon älter. Das
Haar unter seinem Hut präsentierte sich in einem stumpfen Grau.
    »Um Himmels willen«, äußerte er sich jetzt. »Wer sind Sie denn,
mein Fräulein?«
    Bernina hatte sich von ihrem Erstaunen erholt. Seine Ausstrahlung
und die Art, wie er sie ansprach, gaben ihr die Zuversicht, dass von ihm keine
Gefahr ausging. Dennoch nahm sie sich vor, nicht unvorsichtig zu werden.
    »Ich suche den Herrn Oberst«, hörte sie sich antworten.
    Er lachte kurz auf. »Nicht nur Sie. Auch Arnim von der Tauber und
seine gesamte Armee.«
    »Wo ist der Oberst?«
    Wieder dieses Lachen. Spöttisch, doch auch irgendwie nachsichtig.
»Der sieht zu, dass er möglichst viel Land zwischen sich und diese Stadt
bringt, mein Fräulein.« Er musterte sie und fügte hinzu: »Die erste
Angriffswelle gestern Abend konnte noch abgewehrt werden. Aber eine zweite
möchte niemand von Falkenbergs Armee erleben. Schon in den frühen Morgenstunden
begann der Rückzug. Ippenheim wird aufgegeben. Es ist kaum noch jemand von den
Truppen hier.«
    »Und die Gefangenen?«, stieß Bernina hervor.
    »Welche Gefangenen?«
    »Die ins Rathaus gebracht wurden.« Bernina fühlte sich, als würde
der Boden unter ihr nachgeben.

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