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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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einer angeblich sehr guten Familie. Mit 16
besuchte er die angesehene Universität in Altdorf bei Nürnberg, wie es für
Jünglinge seines Standes nicht ungewöhnlich ist. Aber das blieb nur eine
Episode. Nach ein paar Eskapaden legte man ihm nahe, die Universität wieder zu
verlassen. Was er wohl auch gerne tat. Dort ging es ihm etwas zu öde zu.«
    »Eskapaden?« Eigentlich hatte Bernina keine Frage mehr zu
Falkenberg stellen wollen. Aber mehr zu erfahren, reizte sie jetzt doch.
    Der Feldarzt winkte ab. »Blutige Schlägereien, Trinkgelage, auch
einige nicht sonderlich schüchterne Annäherungsversuche an das schöne
Geschlecht, wie man so hörte.«
    »Und wie ging es weiter mit ihm?«
    »Freunde der Familie nahmen ihn unter ihre Fittiche. Falkenberg
wurde Edelknappe bei einem Markgrafen in Mähren, einem alten Bekannten seines
Vaters. Und damit begann seine militärische Ausbildung. So konnte er sich
beruflich um Schlägereien kümmern, wenn Sie so wollen, junge Dame. Er wurde
Fähnrich, dann Hauptmann, in atemberaubender Schnelligkeit. Mutig, ebenso
taten- wie wissensdurstig. Der Tunichtgut hatte offenbar seine Heimat gefunden.
Der Krieg freute sich auf ihn, wie er sich auf den Krieg freute. Seine tollkühn
geführten Attacken sprachen sich rasch herum.«
    »Sie erwähnten seinen Vater. Kennen Sie ihn?«
    »Nein. Aber wie man so hört, ist das auch besser so. Offenbar kein
freundlicher Zeitgenosse. Ein ziemlich geheimnisumwitterter Herr, der in einem
abgelegenen Teil Badens über Grundbesitz verfügt, sich dort allerdings eher
selten aufhält.« Poppel wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Der Oberst
jedenfalls spricht nie über ihn.«
    »Und über seine Mutter?«
    »Soviel ich weiß, ist sie bei seiner Geburt gestorben. Und Geschwister
hat er keine.«
    Das Gespräch wurde allmählich vom Staub und von der
Gleichförmigkeit der Reise geschluckt. Die Sonne brannte auf den Wagen
herunter, und die Luft war erfüllt vom Gebrumm zahlloser Insekten. Sie kamen an
vereinzelten, längst aufgegebenen Gehöften und abgeernteten, bis auf die rohe
Erde aufgewühlten Feldern vorbei. In weichen Wellen breitete sich das Land um
sie herum aus. Am Horizont zeichneten sich Streifen dunkler Waldstücke ab, auf
die sie schon seit geraumer Zeit zuhielten. Dabei folgten sie der
unübersehbaren Spur, die die aus Ippenheim abgerückte Armee hinterließ: einem
breiten Streifen, den zahllose Hufe und menschliche Füße sowie die Räder von
Wagen und Geschützen in das von gleißender Sonne gelblich verfärbte Gras
gepresst hatten.
    »Was meinen Sie«, unterbrach Bernina irgendwann die entstandene
Stille, »wann haben wir die Armee eingeholt?«
    »Ich kann es Ihnen leider immer noch nicht genauer sagen als bei
unserem Aufbruch. Hätte ich nicht so viel Zeit mit den Schwerverletzten verbracht,
wäre der Vorsprung des Obersts nicht so groß geworden.«
    »Es war sicher nicht leicht, sich einfach so von Menschen zu
trennen, die dem Tod ins Auge sehen.«
    Poppels Mund wurde ein schmaler Strich. »Nein, das war es nicht.
Selbst wenn man vorher schon oft in einer solchen Situation gewesen ist.«
    »Ich sehe immer noch die Leichen vor mir, die die Straßen der
Stadt säumten. Als wären sie Puppen, als hätten sie gar nie gelebt.«
    »Versuchen Sie doch lieber an etwas Schöneres zu denken. An Ihren
Freund zum Beispiel«, bemühte sich der Arzt, sie abzulenken. »Wie hieß er doch
gleich?«
    »Anselmo«, antwortete sie und bemerkte, wie ihre Stimme beim
Aussprechen seines Namens ganz leicht hüpfte.
    »Vielleicht haben Sie Glück und Sie finden ihn schon bald unter
den Gefangenen.«
    »Meinen Sie?«
    »Hoffentlich.«
    »Und denken Sie auch, dass ich ihn frei bekommen könnte? Er hat
doch nichts Schlimmes getan.«
    Ein zurückhaltendes Schulterzucken des Arztes. »Erst einmal geht
es darum, ihn überhaupt aufzuspüren. So eine Armee ist wie ein Bienenschwarm
oder ein Ameisenhaufen.«
    »Was nützt Anselmo den Soldaten überhaupt als Gefangener?«
    »Nun ja, wie ich schon sagte: Die Gefangenen werden gewiss als
Lastenträger eingesetzt.« Seine Stimme veränderte sich ein wenig. »Und
außerdem …«
    »Sprechen Sie ruhig weiter«, sagte Bernina. »Auch wenn es sich um
etwas Unangenehmes handelt.«
    »Sie wissen ja selbst, wie unmenschlich es zugeht, wenn Armeen
sich bekämpfen und plündernd durch das Land ziehen.«
    Erneut verfiel er in Schweigen.
    »Seien Sie bitte ganz offen«, bat Bernina.
    »Nun ja, ich will nicht unnötige Ängste

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