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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Bernina zu. »Doch nicht einmal das
ändert etwas an meiner Meinung über diesen Mann. Trotzdem möchte ich ihn
sprechen. Eusebio hat mir kaum weiterhelfen können. Selbst wenn ich später
erneut mit ihm reden könnte, wird sich daran wohl nicht viel ändern. Womöglich
weiß der Oberst genauer, bei welcher Einheit Anselmo jetzt sein kann.«
    Der Feldarzt verzog den Mund. »Ehrlich gesagt, würde mich das
wundern. Er wird sich kaum darum gekümmert haben, welchem Offizier oder
Unteroffizier welcher Gefangene zugeteilt wurde.«
    Bernina breitete ihre Arme aus und straffte sich. »Schon möglich,
aber der Oberst scheint meine einzige Hoffnung zu sein, Anselmo überhaupt
finden zu können.«
    »Ich würde Sie gern zu Falkenberg begleiten. Doch er stellte
ziemlich unmissverständlich klar, dass er Sie allein zu sprechen wünscht.«
    »Danke für Ihre Unterstützung.« Bernina nickte ihm zu. »Aber ich
habe keine Angst vor dem Oberst.«
    »Dass Sie tapfer sind, habe ich längst festgestellt, Bernina.« Er
lächelte abwägend. »Passen Sie bitte auf sich auf. Falkenberg ist ein
Mann … Nun ja, manchmal weiß nicht einmal ich so richtig, was ich von ihm
halten soll.«
    »Ich werde vorsichtig sein. Versprochen.«
    »Lassen Sie mich Ihnen den Weg zu seinem Zelt zeigen.«
    Die Sonne stand bereits ziemlich hoch, als Bernina nur wenige
Minuten später vor dem größten Zelt des Lagers darauf wartete, dass der Oberst
sie zu sich hineinbitten würde. Weit über ihr zogen Vögel Bahnen am nahezu
wolkenlosen Blau des Himmels. Sie erkannte nicht, ob es sich um Krähen
handelte, doch fühlte sie sich auf unnatürliche Weise von ihnen beobachtet.
Unwillkürlich musste sie an die Krähenfrau denken. Wo mochte sie jetzt sein?
Ging es ihr gut? Dachte sie oft an Bernina? Wie sehr musste Cornix enttäuscht
von ihr und von der Art sein, mit der sie sich damals von ihr weggeschlichen
hatte.
    Ein Diener brachte Bernina mit ein paar knappen Worten zurück in
die Gegenwart. Er führte sie in das Zelt und ließ sie allein vor einem Tisch
stehen, auf dem neben einer Landkarte mit skizzierten Bergzügen, Waldstücken,
Ortschaften und Straßen silberne Platten mit Essensresten lagen. Kaltes
Fleisch, das aussah wie Geflügel, Trauben, angebissene Äpfel, Brotstücke.
Mehrere Zinnkrüge, einer noch fast zur Hälfte mit dunklem, würzig riechendem
Bier gefüllt.
    Offenbar hatte der Oberst es sich schmecken lassen, und Bernina
fragte sich, wann sie zuletzt etwas von einem Essen übrig gelassen hatte, oder
jemand von den Menschen, die sie kannte.
    Der Duft von Brot und Fleisch war verführerisch, aber Bernina
blieb standhaft. Sie griff nicht danach, sah sogar einfach daran vorbei auf die
fleckige, rissige Wand des Zeltes, das wohl schon in so manchem Kriegsjahr zum
Einsatz gekommen war.
    Auf dem von vielen Füßen platt gestampften Rasen waren grobe
Holzstühle verteilt, doch Bernina nahm auf keinem davon Platz
    Sie stand noch immer aufrecht, als der Diener
erneut auftauchte, wortlos an ihr vorbeirauschte und dann ebenso wortlos wieder
verschwand. Aus dem hinteren Teil des Zeltes erschien kurz darauf, als sie ihn
beinahe schon nicht mehr erwartet hätte, mit wiegendem Gang Jakob von
Falkenberg. Die gleiche elegante, mit feinen Stickereien verzierte Kleidung wie
bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Der große Hut mit der auffallend langen,
strahlend weißen Feder, die Stiefel mit den großen Stulpen, die abgewetzte
Lederscheide des Degens, dessen Ende über den Boden gezogen wurde. Auch gleich
der Ausdruck in den grauen Augen, die Art, mit der der Blick dieses Mannes
Bernina einfing.
    »Es freut mich, erneut das außerordentliche Vergnügen Ihrer
Gesellschaft zu haben«, sagte er, seine spöttische Betonung und seinen Auftritt
auskostend. Lässig ließ er sich in einen der Holzstühle fallen, lässig warf er
seinen Hut auf den Tisch, lässig legte er die Beine auf einen weiteren der
Stühle. Kurz und knapp die Geste seiner rechten Hand. »Machen Sie es sich doch
bequem.«
    Wie Bernina auffiel, war er im Gegensatz zu ihrer ersten Begegnung
zu dem respektvolleren Sie übergegangen.
    »Danke, aber ich bleibe lieber stehen«, erwiderte sie kühl. Sie
bemühte sich, ihm mit einem einzigen noch kühleren Blick deutlich zu machen,
dass sie sich nicht von ihm beeindrucken ließ.
    Er grinste schmal und strich sich die hellblonden Haare aus der
Stirn. »Ich hätte nicht gedacht, Ihnen noch einmal zu begegnen.«
    Bernina ließ die Worte verklingen und wusste nicht

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