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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Dunkelheit der Nacht in den langsam heller
werdenden Himmel. Kühler war es als in den vorangegangenen Wochen, eine frühe
herbstliche Frische füllte die Luft, aber Bernina merkte nichts davon, spürte
nichts als Hitze in sich.
    Weiterhin wurden keine Feuer gemacht, das Frühstück, sofern es
welches gab, musste kalt eingenommen werden. Die Blicke der Erwachenden lagen
auf Bernina und Poppel, als sie den Rand des Lagers erreichten.
    Im milchigen Schein des zögernden Dämmers sah Bernina ein gutes
Stück entfernt, vor dem Hintergrund geradezu schwarz wirkender Bäume, eine
Gruppe von Männern, die damit beschäftigt war, mit Schaufeln Löcher in die Erde
zu graben. Die meisten von ihnen waren barfuss, ihre Kleidung war zerrissen.
Bewacht wurden sie von einigen gelangweilt herumstehenden Soldaten, die
Musketen trugen und denen man ansah, dass sie Schlaf nötig hatten.
    »Herr Fähnrich«, rief Melchert Poppel in die morgendliche Stille.
»Ich komme von Oberst von Falkenberg.«
    »Was Sie nicht sagen, Poppel«, kam die gelangweilte Antwort des
Mannes, der offenbar den kleinen Wachtrupp befehligte.
    »Ich möchte die Gefangenen kurz begutachten.«
    »Mir soll’s recht sein.« Der Blick des jungen Fähnrichs fiel auf
Bernina, und seine Augen wurden etwas wacher. »Möchten Sie mir Ihre Begleitung
nicht vorstellen?«
    »Nein, das möchte ich mit Sicherheit nicht«, erwiderte Poppel mit
lässigem Ton. Rasch waren er und Bernina an dem Mann vorbeigegangen.
    Nun waren sie den Gefangenen schon ganz nahe.
    Erst jetzt sah Bernina die Eisenketten, die man ihnen an den
Fußknöcheln befestigt hatte, um ihre Schritte zu bremsen. Doch nur einen
Augenblick später achtete sie nicht mehr darauf. Auf fast gar nichts mehr
achtete sie noch. Bloß auf die bunte, seidig schimmernde Pluderhose, auf die
tief gebräunte Haut des muskulösen Oberkörpers und auf den wilden Haarschopf,
der Kopf und Nacken eines Gefangenen bedeckte.
    Es war, als würde ihr Herz aus der Brust springen, so groß war die
Erleichterung, die sie wie ein Blitz durchzuckte.
    »Ist das Anselmo?«, hörte sie die Stimme Melchert Poppels, ohne
seine Worte wirklich aufzunehmen.
    Bernina lief schneller und ließ dabei den Arzt hinter sich. Die
Wachsoldaten und die Gefangenen, die aufhörten zu graben, sahen auf, richteten
ihre Blicke auf die schöne junge Frau. Sie war fast bei dem Mann, der ihr Ziel
war. Er stand mit dem Rücken zu ihr und hatte als Einziger noch nichts von
ihrem Auftauchen mitbekommen.
    »Anselmo«, flüsterte sie. »Anselmo.«
    Dann war sie bei ihm, sie streckte ihre Hand aus, berührte seine
nackte, von Schweiß bedeckte Schulter, und er fuhr herum.
    »Anselmo, ich bin es.«
    Zwei Augen blickten auf, müde, resigniert, kraftlos. Schmutzig und
hager die Wangen, das Haar klebte in nassen Strähnen auf der Stirn.
    »Du?«, kam die Stimme mühsam aus der Kehle gekrochen. »Du?«
    Bernina brachte kein Wort heraus.
    »Du bist schuld«, sprach die kehlige Stimme weiter. »Du bist
schuld, dass alles so gekommen ist. Rosa hatte recht. Mit allem, was sie sagte,
hatte sie recht.«

Kapitel 4
     

Himmel gegen Hölle
    Das Lager war seit den Augenblicken des langsamen, zähen Erwachens
längst wieder in sein teils geordnetes, teils chaotisches Gewimmel verfallen.
Stimmen, Zurufe, Befehle, Fragen, das Pferdegewieher. Die Geräusche von
Lederriemen, die festgezurrt wurden, von Kisten, die unter dem Stöhnen ihrer
Träger polternd auf Wagen verladen wurden.
    Bernina saß auf dem Bock von Melchert Poppels Wagen und wartete.
Die Enttäuschung beherrschte sie, lähmte sie, machte sie dumpf und müde. Selbst
jetzt noch, über zwei Stunden nach der Begegnung bei den frisch geschaufelten
Gräbern. Diese abgrundtiefe Enttäuschung, die viel größer zu sein schien als
die Erleichterung, der sie sich einige Momente lang hingeben durfte. Der Mann
mit dem schwarzen Haar und den bunten Pluderhosen, den sie gesehen hatte, war
nicht Anselmo gewesen. Als er sich zu ihr herumgedreht hatte, blickte Bernina
in Eusebios Augen. Er war es, Anselmos Gefährte, der Feuerschlucker der
Gaukler-Truppe.
    Und mehr als ein kurzes Gespräch mit ihm war nicht möglich
gewesen. Dazu war Bernina viel zu konsterniert. Sie hatte lediglich erfahren,
dass Anselmo wie Eusebio nach wie vor gefangen war und sich irgendwo bei den
Truppen befand, die Scheinattacken gegen die Armee Arnims von der Tauber führen
sollten.
    Als sie sich endlich gesammelt hatte und weitere Fragen stellen
wollte, war der

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