Das Geheimnis der Krähentochter
seine Züge.
»Ja, nie schnell genug konnt’s mir gehen. Ich dachte immer, es gäbe bloß einen
Weg für mich, den nach oben. Ich wollte immer derjenige sein, der die Befehle
gab, und eines Tages der Oberbefehlshaber aller kaiserlichen Armeen sein, so
wie es Wallenstein gewesen war. Heute weiß ich endlich, dass sowieso nur einer
den Oberbefehl hat. Und zwar der Krieg, der Krieg allein.«
Es dauerte ein paar seltsame, fast unnatürlich lautlose Momente,
bis Falkenberg sich wieder Bernina zuwandte und erneut dieser leicht spöttische
Glanz in seinen Augen aufschimmerte. »Aber ich wollte mit Ihnen eigentlich
nicht über mich sprechen.«
»Sondern?«
»Über Sie.« Er blickte sie mit entwaffnender Offenheit an. »Wer
sind Sie? Woher kommen Sie?«
»Ich bin Bernina. Nur eine einfache junge Frau.«
»Und eine sehr schöne«, warf er noch offener ein.
Hat Poppel recht gehabt mit diesen Andeutungen?, fragte sich
Bernina. Wollte der Oberst mich nur sehen, um mit mir …
»Seit ich Ihnen«, fuhr er fort, »in Ippenheim unter diesen
unfeinen Umständen begegnet bin, sind Sie mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen.
Sie und die Zeichnung, die Sie verloren hatten und die auf dem Boden lag. Zuerst
dachte ich, Sie hätten sie gerade selbst angefertigt, direkt von dem Gemälde
abgezeichnet.«
»Ich bin nur eine einfache Frau«, wiederholte Bernina. »Eine Magd.
Ich kann gar nicht zeichnen.«
»Ich glaube, Sie können viel mehr, als Sie selbst ahnen. Aber wie
dem auch sei: Jedenfalls merkte ich dann, dass das Papier mit der Zeichnung alt
und abgegriffen war. Sehr alt.«
»Was ist denn für Sie so wichtig an dieser Zeichnung?«
»Wichtig? Wahrscheinlich gar nichts. Woher
haben Sie sie?«
»Ich habe sie zufällig im Zimmer eines Bauernhofs gefunden, in dem
ich sehr lange gelebt habe.«
»Wissen Sie, wer sie angefertigt hat?«
»Nein, ich habe sie an mich genommen, weil sie mir so sehr
gefallen hat. Weil sie …« Bernina zögerte ein wenig. »Weil sie einen
besonders tiefen Eindruck bei mir hinterlassen hat.«
»Ich nehme an, die Zeichnung ist dem großen Gemälde
nachempfunden?«
»Oder sie ist eher eine Art Skizze für das Gemälde in dem Haus,
das Sie und ihre Männer besetzt hatten.«
»Ja, eine Skizze. Aber was meinen Sie mit ›besetzt‹? Das Haus in
Ippenheim gehört meiner Familie, den Falkenbergs. Schon seit vielen Jahren.«
»Ach«, staunte Bernina.
»Ich war schon als Junge sehr oft in dem Gebäude, und ich kenne
auch das Gemälde mit dem Mädchen. Deshalb fiel mir die Zeichnung sofort auf.
Das Gemälde hängt an dieser Wand, seit ich denken kann. Als ich klein war, habe
ich oft in diesem Raum mit kleinen geschnitzten Holzrittern gespielt, genau vor
diesem Bild.«
»Wie gesagt, ich dachte, es wäre ein besetztes Haus.«
»Ich weiß nicht, wie viele Stunden ich gemeinsam mit diesem
Mädchen verbracht habe, aber es müssen unzählige gewesen sein.«
Beinahe glaubte Bernina einen Anflug von Traurigkeit im Gesicht
Jakob von Falkenbergs wahrnehmen zu können.
»Oft habe ich mir vorgestellt«, sprach er weiter, »das Mädchen zu
kennen. Mich mit ihm zu unterhalten.« Ein Lächeln, das ihn auf einmal fast
sanftmütig erscheinen ließ. »Und wer weiß, vielleicht habe ich sogar
tatsächlich mit ihm gesprochen.«
»Offenbar sind Sie als Kind einsam gewesen«, sagte Bernina.
»Einsam?«
Berninas Stimme schien die Erinnerungen überdeckt zu haben. Das
Sanfte verschwand aus seinen Augen. »Durchaus möglich. Aber dann hat mich ja
zum Glück das Soldatenleben aus dieser Einsamkeit befreit.«
»Ausgerechnet das Soldatenleben?«
Er grinste, nun endgültig wieder ganz der Mann, den sie anfangs
kennengelernt hatte. »Ja, aber sicher. Das große Abenteuer Krieg. Es hat mich
tatsächlich irgendwie gerettet. Jetzt jedoch habe ich den Spaß daran verloren.«
»Spaß am Krieg?«, wiederholte Bernina und machte keinen Hehl
daraus, dass sie angewidert war von seinen Worten. »Das kann doch nur ein
Unmensch sagen«, fügte sie an und war selbst überrascht von dieser Äußerung.
Doch er schien sich nicht daran zu stören, wie sein Grinsen
zeigte. »Ja, das mag sein. Aber vielleicht kann ich Ihnen bei anderer
Gelegenheit besser erklären, wie ich all das meine.«
»Das wird nicht nötig sein«, entgegnete sie, und er grinste
erneut.
Bernina war überrascht, wie offen er mit ihr gesprochen hatte,
beinahe schon vertraulich, obwohl ihm klar war, dass sie keine Frau von Stand
war. Was für ein merkwürdiger Mensch er
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