Das Geheimnis der Krähentochter
recht, was sie
darauf antworten, was sie überhaupt denken sollte. Weiterhin ruhte ihr Blick
selbstbewusst auf dem fremden Mann.
»Wie ich höre«, sagte er schließlich, »sind Sie immer noch an
einem meiner Gefangenen interessiert.«
»Genau genommen, an zweien Ihrer Gefangenen«, berichtigte Bernina.
»Ach ja, der gute Poppel erwähnte so etwas.« Der Anflug eines
erneuten Grinsens. »Einer von den beiden hat heute Morgen geholfen, die Gräber
auszuheben. Und was war mit dem zweiten?«
»Das ist der Mann, den Ihre Soldaten in Ippenheim auspeitschten«,
antwortete sie schnell und hart.
»Und wie ich dem Beben in Ihrer Stimme entnehme, geht es Ihnen vor
allen Dingen um diesen Mann.«
»Ja«, bestätigte sie offen.
»Dann tut es mir leid für Sie.« Seine Augen
forschten in ihrem Gesicht. »Es lässt sich kaum feststellen, wo genau er im
Moment ist. Da müssen Sie noch Geduld haben. Verschiedene meiner Einheiten
sind, begleitet von Gefangenen, unterwegs, um Arnim von der Tauber ein wenig zu
ärgern. Der gute Arnim ist uns leider ziemlich dicht auf den Fersen, wie mir
meine Späher melden.«
»Wie meinen Sie das, ich müsse Geduld haben?«
»Es gibt einen bestimmten strategischen Punkt, an dem ich hoffe,
auf die verbündete Armee von General Benedikt von Korth zu treffen. Dort werden
sich alle unsere Truppenteile zusammenfinden. Soweit sie noch am Leben sind.«
Er erhob sich und trat etwas näher an Bernina heran, ohne den Blick von ihr zu
lassen. »Vielleicht haben Sie dann mehr Glück und finden ihn.«
»Und der Mann bei den Gräbern? Können Sie etwas für ihn tun?«
»Ich werde es veranlassen, dass er zu Poppel
gebracht wird.«
»Vielen Dank. Wann werden wir an dem Treffpunkt sein, von dem Sie
sprachen?«
Ihre direkte Art schien ihm zu gefallen, wie sie seinem Blick
ablas.
»Je schneller, desto besser. Übrigens, Sie haben mir immer noch
nicht gesagt, ob es sich bei diesem Mann, den Sie so verzweifelt suchen, um
Ihren Ehemann handelt.«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Und warum tun Sie so geheimnisvoll?«
»Nicht geheimnisvoll. Ich finde nur, dass Sie das nichts angeht.«
Nun machte sich Überraschung in seinem Gesicht breit. Eine solche
Antwort hätte Falkenberg ihr offensichtlich niemals zugetraut.
»Also, ich muss schon sagen«, meinte er und hatte Mühe, seine
Lässigkeit wiederzuerlangen, »von meinen Offizieren fordere ich immer, dass sie
klipp und klar sagen, was sie meinen. Aber ausgerechnet Sie tun das.«
»Ich bin nur ehrlich.«
Er lachte laut auf und griff nach dem halb leeren Zinnkrug, um
einen Schluck zu trinken. »Auch etwas Bier? So viel Temperament macht gewiss
durstig.«
»Nein, danke.«
»Nein, danke«, wiederholte Falkenberg ironisch ihren Tonfall. »Ich
gebe zu, mit Ihnen zu sprechen, ist immer wieder eine wahre Freude. Und ich
gebe auch zu, dass es mich interessieren würde, was hinter Ihrer Stirn
vorgeht.«
»Was schon? Ich mache mir Sorgen.«
»Selbstverständlich. Um den Mann, der mich nichts angeht, wie Sie
es schon auf den Punkt brachten. Aber was denken Sie sonst noch?«
»Warum interessiert Sie das denn eigentlich?«
»Wenn ich das nur wüsste …« Er ließ sich auf dem Tischrand
nieder. »Ich weiß nicht einmal genau, warum ich Sie sprechen wollte. Aber das
finden wir bestimmt noch heraus. Also: Was denken Sie?«
»Denken? Worüber?«
»Zum Beispiel über mich.«
»Über Sie?« Bernina zog ihre Stirn in Falten. »Ich denke, dass Sie
es gar nicht so sonderlich eilig haben. Dabei sagen Sie doch, dass der Feind
Sie und Ihre Armee verfolgt. Aber trotzdem nehmen Sie sich auch noch Zeit für
mich. Sie gaben nicht den Befehl zum Aufbruch, obwohl es schon fast Mittag
ist.«
Jakob von Falkenbergs Blick ruhte auf ihr, als versuche er, ihre
Gedanken zu lesen. Nach wie vor konnte er sie nicht einschätzen. Das spürte
Bernina, und es gefiel ihr, wie sie sich eingestand.
»Stimmt.« Er nickte. »Eilig habe ich es nicht. Wissen Sie, ich
hatte es jahrelang verdammt eilig. Nie konnte es mir schnell genug gehen, nie
kam ich schnell genug voran. Mittlerweile allerdings … Sehen Sie,
inzwischen bin ich folgender Meinung: Wenn es dich erwischt, erwischt es dich.
Früher wäre ich schon vor dem Morgengrauen aufgebrochen. Jetzt nicht mehr. Die
Pferde brauchten eine längere Pause. Sie haben bereits auf dem Weg nach
Ippenheim kaum Nahrung erhalten. Und dort kam es schneller zur Schlacht, als
ich es vermutet hatte.«
Auf einmal schlich sich ein nachdenklicher Ausdruck in
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