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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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erwiderte aber nichts.
    »Was nicht heißen soll«, fuhr er fort, »dass Sie nicht hübsch
gewesen wären, als ich Sie mitten in der Nacht auf dem Wagen fand. Nur war es
da anders.«
    Bernina horchte auf. Er will auf etwas hinaus, mutmaßte sie.
    »In der Nacht«, erklärte Poppel umständlich, »war es eine
melancholische Schönheit, die Sie umgab. Eine sehr traurige.«
    »Traurig? Wahrscheinlich weil ich an Anselmo gedacht habe.«
    »An Anselmo. Gewiss. Aber wenn Sie mir auch diese Bemerkung
gestatten möchten«, setzte er wieder an, »vermute ich, dass Ihre Gedanken
außerdem jemand anderem gehörten.«
    Sie konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Offenbar fiel es dem
Arzt immer sehr leicht, sie zu durchschauen.
    Er lächelte. Weder verschmitzt, wie so oft, noch überlegen oder
zufrieden mit sich. Eher ein wenig unsicher, was sie auch überraschte. Er schob
seinen Hut zurück und sagte: »Ja, ich meine den Oberst. Ich meine Jakob von
Falkenberg.«
    Schlagartig kehrte jener Moment in der Schlacht zurück zu
ihr – diese eine Sekunde, als sie erfuhr, dass Falkenberg gefallen war.
Die Kälte, die plötzlich in ihr war. Und das, obwohl sie ihn doch kaum gekannt
hatte. Da waren dieser erzwungene Kuss, das Spiel seiner Augen, der Spott, aber
auch die Neugier, die er für Bernina hegte, seine Fragen, ihr seltsames
Gespräch über das Gemälde. Mehr war eigentlich nicht gewesen.
    Zunächst hatte der Gedanke, er wäre tot, etwas Unwirkliches
gehabt – erst dann breitete sich der Schock in Bernina umso stärker aus.
Sie versuchte ihn sich vorzustellen, wie er seinen letzten Atemzug nahm, wie er
erstarrte und für immer die Augen schloss. Oder blickte er selbst im Tode noch mit
dieser ganz eigenen Art in die Welt, der er nicht mehr angehörte? Spielerisch
und lautlos hatte sie seinen Namen in den letzten Stunden der Schlacht immer
wieder über ihre Lippen gleiten lassen. Etwas Außergewöhnliches war an ihm
gewesen, etwas, das nicht zu fassen war.
    Jetzt würde sie nicht mehr die Möglichkeit haben, die Aura zu
durchschauen, die diesen Mann umgeben hatte.
    »Ich gebe es zu«, antwortete Bernina nach langem Zögern. »Ich habe
an ihn gedacht. Und als bekannt wurde, dass er zu den Gefallenen gehört, da war
mir …« Ihr versagten die Worte.
    »Ja?«
    »Ich hätte nicht gedacht, dass …«
    »Dass diese Meldung Sie so sehr mitnehmen würde?«
    »Ja.«
    »Er ist ja auch eine faszinierende Persönlichkeit. Das heißt, er
war es. Auch ich kann immer noch nicht glauben, dass er wirklich nicht mehr
unter uns ist. Er war tollkühn, immer im Zentrum der Gefahr, und dennoch …
Seine Männer wären ihm blind gefolgt, und das ist nicht nur eine Floskel. Sie
vertrauten ihm, sie hielten ihn für unsterblich.« Ein nachdenklicher Gesichtsausdruck
des Arztes. »Beinahe hielt sogar ich ihn schon für unsterblich.«
    »Als Sie so plötzlich ihre Sachen ergriffen und mich allein bei
dem Wagen und den Verletzten ließen – wurden Sie da zu Oberst von
Falkenberg beordert? Sahen Sie, wie er starb?«
    »Ich wurde zu einigen verwundeten Offizieren gerufen, das ist
richtig.« Er schüttelte den Kopf. »Aber nein, zum Oberst holte man mich nicht.
Ich habe ihn nicht mehr gesehen seit unserem Aufbruch. Vielleicht war in seinem
Fall ein Arzt nicht mehr nötig. Oder man vertraute lieber dem Rat eines
Mediziners von größerem Ansehen, als ich es genieße. Früh am Morgen erhielt ich
den Befehl, den Rest der Armee zu verlassen und mich an einem bestimmten Ziel
einzufinden.«
    »Sagen Sie mir jetzt etwas mehr über dieses Ziel?«
    »Es handelt sich um ein winziges Dörfchen. Wir müssten schon
ziemlich in der Nähe sein. Das ist alles, was ich weiß. Das Dorf kannte ich
bisher nicht. Es heißt Kraubach. Haben Sie den Namen schon einmal gehört?«
    »Nein.«
    »Nun ja, ich denke, die Pferde haben sich erholt. Besser, wir
verlieren nicht noch mehr Zeit. Und dann werden wir sehen, was uns in Kraubach
erwartet.«
     
    *
     
    Sie folgten einem schmalen und offenbar kaum benutzten Weg, wie
das hochstehende Gras zeigte. Der Wald um sie herum wurde immer dunkler, verdichtete
sich mit jedem Meter ein bisschen mehr, und fast erschien es, als würden sie
geradewegs in eine andere Welt fahren, um für immer von der Erdoberfläche zu
verschwinden.
    »Wie düster es hier ist«, bemerkte Bernina mit verhaltener Stimme.
Die ersten Worte seit sie und Melchert Poppel ihre Rast bei dem Bach beendet
hatten. »Beinahe so düster wie die Wälder, in denen ich

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