Das Geheimnis der Krähentochter
aufgewachsen bin.«
»Ja, nur dass wir viel weiter nördlich sind. Ein sehr abgelegenes
Gebiet am oberen Ende Badens. Hier gibt es, soweit ich weiß, keine Stadt, nicht
einmal eine größere Ansiedlung.«
Der Planwagen rumpelte vor sich hin, die Pferde, so unermüdlich
wie ihr Besitzer, hielten ihren Schritt.
»Sie waren also auch noch nicht in dieser Gegend?«
»Nein. Einer der Offiziere des Obersts hat mir den Weg hierher
beschrieben.«
Vom Himmel, der sich nach wie vor in einem sommerlichen Blau
präsentierte, war nur noch ein schmaler Streifen über ihren Köpfen zu sehen. Es
war kühler als zuvor noch auf den freien Ebenen.
»Was mag in unserem Rücken inzwischen geschehen sein, Herr Poppel?
Denken Sie, es ist schon zu weiteren Kämpfen gekommen?«
»Das ist schwer zu sagen.« Der Feldarzt sah sie an und verzog die
Lippen. »Vielleicht begnügt sich Arnim damit, den Tod Jakob von Falkenbergs
herbeigeführt zu haben. Damit kann er für ebenso viel Aufsehen sorgen wie durch
einen weiteren Sieg. Außerdem hat er nun mit General von Korth einen zumindest
zahlenmäßig gefährlicheren Gegner vor sich. Falkenbergs Armee ist kleiner, die
Einheiten sind aufgerieben, die Soldaten erschöpft, sehr viele verwundet. Und
sie haben ihren Anführer eingebüßt.« Wieder ein kurzer Blick. »Ja, womöglich
riskiert Arnim keine weiteren Verluste, denn seine eigenen werden auch nicht
gering gewesen sein. Es wird ihm wohl reichen, als Falkenbergs Bezwinger von
sich reden zu machen.«
»Wenn General von Korth nicht aufgetaucht
wäre, dann …«
»… wären wir alle tot, da bin ich mir
sicher. Die Nachricht von Falkenbergs Tod hat seine ganze Armee gelähmt. Als
wären mit ihm auch Zuversicht und Mut gestorben. Offenbar ist von Korth früher
am verabredeten Treffpunkt erschienen. Dann fasste er den Entschluss, nicht
dort zu warten. Er hat den Weg genommen, auf dem er Falkenberg erwartet hatte.
Zum Glück für uns alle.«
»Man kann sich ein Leben ohne Krieg gar nicht vorstellen. Wie soll
das alles nur weitergehen?«
»Wenn ich das wüsste, meine Liebe. Vorhersagen sind unmöglich
geworden. Dieser Krieg lässt sich schon lange nicht mehr einschätzen. Es gibt
keine Fronten mehr, bloß noch verstreute Kampfgebiete, größere wie kleinere,
und viele durch die Lande kriechende Armeen, die sich gegenseitig verfolgen,
belauern, die sich in Gemetzeln und Scharmützeln bekämpfen oder auch
gelegentlich nur Scheinattacken reiten, um dann einfach wieder zu
verschwinden.«
»Ich muss immer an diese Schlacht denken«, flüsterte Bernina. »Wie
schrecklich sie war. Genau wie in Ippenheim. Nie hätte ich gedacht, dass
Menschen sich gegenseitig so etwas antun können.«
»Oh, und ob sie das können«, warf Poppel ein.
»Diese Grausamkeiten. Wie grässlich. Dieses Leid.«
»Und dann vor allem die fehlenden Mittel, dieses Leid zu lindern.
Was für mich immer wieder aufs Neue so niederschmetternd ist. Ich mache, was
ich kann, aber trotzdem fühle ich mich immerzu machtlos. Was ich einfach nicht
wahrhaben will, ist die Tatsache, dass die Medizin nach wie vor in ihren
Kinderschuhen steckt.« Ein wenig bitter lachte Poppel auf. »Mir bleibt nur zu
hoffen, dass wir besser werden. Irgendwann.«
»Sie sollten lieber stolz auf das sein, was Sie zu leisten
imstande sind. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen«
»Ach, Bernina, es ist nett, dass Sie das sagen. Aber wenn Sie
ahnen würden, worauf manche meiner Kollegen hin und wieder
zurückgreifen …« Erneut dieses Auflachen. »Einer meiner Bekannten schmiert
beispielsweise Gerstenschleim mit pulverisierten Regenwürmern auf offene
Wunden, und das ist wirklich kein Scherz.«
Bernina hob die Augenbrauen. »Zweifellos, ein eigenwilliges
Mittel.«
Sie wechselten einen Blick und genossen den flüchtigen Moment der
Amüsiertheit.
»Manchmal wird mir selbst übel«, fuhr Poppel
mit ernsterer Stimme fort, »wenn ich daran denke, was wir Knochenschneider so
treiben. Verletzungen werden mit Glüheisen ausgebrannt. Oder auch mit siedendem
Öl begossen. Doch eines ist so sinnlos wie das andere. Ein weiterer meiner
geschätzten Kollegen hat, als ihm das Öl ausging, Verletzungen mit einem
Gemisch aus Eigelb, Schwefelsäure und Terpentin behandelt. Dann hörte ich von
einer Mixtur aus Bärenfett, Eberschmalz und dem Moos von den Schädeln
Gehenkter. Die verrücktesten Dinge werden ausprobiert.«
»Langsam verstehe ich, was Sie meinen.«
»Gern würde ich in die Zukunft sehen. Einfach um
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