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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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zurück, und es wurde offenkundig, dass
er sich bei Weitem nicht so prächtig fühlte, wie er vorgab. »Also los, Poppel.
Das ist Ihr großer Auftritt.«
    »Wie Sie meinen, Herr Oberst.« Poppel zog einen Stuhl dicht ans
Bett heran und setzte sich darauf.
    »Was habe ich zu tun?«
    »Eigentlich nur eine Sache: die Zähne zusammenbeißen, Herr
Oberst.« Der Arzt holte mehrere der zuvor gereinigten, in weiße Tücher
gewickelten Gegenstände aus seiner Tasche und legte sie sorgfältig vor sich auf
der Bettdecke ab, neben Falkenbergs Beinen.
    »Bernina«, sagte er. »Sie gehen zum Kopfende des Bettes. Sie tun
das, was Sie inzwischen schon häufiger getan haben.«
    »Ja, Herr Poppel.« Als sie näher trat, richtete Falkenberg seine
Augen auf sie.
    Poppel hatte unterdessen die Wunde an Falkenbergs Hüfte freigelegt
und betrachtete das Fleisch an jener Stelle, wo die feindliche Kugel
eingedrungen war.
    Bernina erwiderte Falkenbergs Blick nicht, selbst dann nicht, als
sie sich über ihn beugte, ihm ein Stück Leder zwischen die Zähne schob und
anschließend mit ihren Händen seine Arme ergriff, um sie fest nach unten zu
drücken.
    Seine Haut kam ihr eiskalt und kochend heiß zugleich vor. Er
starrte sie weiter an, aufmerksam, unablässig, ohne Furcht vor dem, was folgen
sollte, während sie sich dem Arzt zuwandte. In dessen Hand befand sich nun die
Schere, die er auseinandergenommen und verkehrt herum wieder zusammengefügt
hatte.
    Jetzt wurde Bernina klar, warum die Schneiden nach außen zeigten.
    Diese Schere ließ Poppel sachte in die Verletzung eindringen.
Falkenbergs Körper zuckte ganz kurz. Die Schere ging tiefer, und durch ihre
besondere Bauweise gelang es dem Arzt, den Schusskanal zu erweitern.
    Gebannt starrte Bernina auf jede seiner Bewegungen. Es war
abscheulich und faszinierend in einem. Poppels Feingefühl, seine Vorsicht. Der
Schweiß strömte seine Wangen herab, bildete einen See auf seinem gebeugten
Nacken.
    Nun führte er eine lange Fasszange in die Verletzung ein.
    Falkenbergs Blicke lagen weiterhin auf Bernina, sie erahnte sie
mehr, als dass sie sie wirklich sah. Er zuckte nicht, er stöhnte nicht. Das
Einzige, was sich an ihm zu bewegen schien, war das Lederstück, das er mit den
Zähnen malträtierte. Auch er war mit Schweiß bedeckt.
    Poppel zog die Zange wieder heraus, lang und blutverschmiert stach
sie in die brütende Luft des Zimmers. Er legte sie beiseite.
    »Ich kann die Kugel nicht fassen«, flüsterte er erschöpft. »Sie
steckt so verdammt fest. Genau das, was ich befürchtet hatte.«
    Im nächsten Moment fühlte Bernina das Erschlaffen des Körpers, den
sie nach unten drückte.
    »Herr Poppel!«
    »Er ist ohnmächtig. Ich muss schnell sein, sonst wacht er diesmal
wirklich nicht mehr auf.«
    Vorsichtig zog Bernina das Leder zwischen den Zähnen des Obersts
heraus. Aus den Augenwinkeln betrachtete sie dabei, wie Poppel einen auffallend
langen Metallstab in die Hand nahm, der sich seinem extrem zugespitzten Ende
entgegenringelte.
    »Was ist das?«, hauchte sie, den Oberst immer noch festhaltend,
auch wenn er ohne Bewusstsein war.
    »Ein Bohrer«, antwortete Poppel schlicht. Er saugte Luft ein und stieß
sie wieder aus. »Jetzt entscheidet sich alles.«
    Mit nach wie vor höchster Behutsamkeit führte der Arzt den Bohrer
in den erweiterten Schusskanal. »Ich habe die Kugel.« Er hielt den Atem an,
Bernina konnte es sehen.
    »Wenn sie schon so verdammt feststeckt und ihr Blei nicht ganz so
hart ist«, flüsterte Poppel, »gelingt es mir vielleicht, sie anzubohren.«
    Bernina sah zu, wie sich seine Hände, seine Finger bewegten, wie
seine Lippen Worte formten, die nicht zu hören waren. Dann verharrte er in
absoluter Regungslosigkeit. Ein scheinbar endloser Augenblick. Und schließlich
zog er den Bohrer wieder aus dem Körper des Ohnmächtigen heraus, auch das
schien kein Ende zu nehmen.
    Alles in Bernina spannte sich an. Sie presste die Lippen
aufeinander, sie atmete nicht mehr. Erst als sie sah, dass auf der Bohrerspitze
die Kugel thronte, von Blut umhüllt, wurde ihre Brust frei, pulsierte das Leben
wieder in ihren Adern.
    Mit raschen, unzählbar oft vollführten Handgriffen legte der Arzt
Falkenberg einen neuen Verband an.
    Bernina wollte etwas zu Poppel sagen, ihm Lob zollen, aber sie
fand einfach nicht die richtigen Worte.
    »Und wenn wir schon dabei sind«, war er es dann, der sich äußerte,
»machen wir auch gleich weiter.« Er sagte es gelassen.
    »Wir machen weiter?«
    »Ja, die andere

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