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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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nicht
besorgniserregend aus. Es war offenkundig, dass der Arzt seinem Patienten auf
einmal sogar recht gute Chancen für ein Überleben ausrechnete.
    Bei Poppels Worten hatte Bernina Erleichterung verspürt. Eine
Erleichterung, die tiefer ging, die sie ebenso überraschte wie zuvor der
Schock, als es hieß, der Oberst wäre gefallen. Eine Erleichterung, die –
wie sie sich eingestand – nicht nur damit zu tun hatte, dass der Oberst
womöglich eine letzte Möglichkeit bedeutete, eine Spur von Anselmo zu
entdecken. Das Durcheinander, das Falkenberg in ihre Gefühle brachte, gefiel
Bernina überhaupt nicht.
    Als sie zurück zum Haus kam, war gerade ein Karren eingetroffen,
gezogen von einem Esel, von dem geräucherte Schweinehaxen, Körbe mit
getrocknetem Gemüse und Obst sowie mehrere Laibe Brot und etliche große,
bauchige Flaschen Wein abgeladen wurden. Ein zweiter Karren brachte kurz darauf
Kisten mit Munition. Nachschub für die Männer des Obersts.
    Bernina blieb stehen und schaute zu, wie die Soldaten sich um die
gelieferten Waren kümmerten und dabei vor allem angesichts des Weins zufriedene
Gesichter zeigten. Einer von ihnen machte eine schlüpfrige Bemerkung in
Berninas Richtung, doch ein Unteroffizier brachte ihn rasch zum Schweigen.
Möglicherweise hatte Poppel darum gebeten, dass sie mit Respekt behandelt
wurde – und man richtete sich danach.
    Vielleicht hing es auch einfach mit der Achtung zusammen, die
Bernina sich erworben hatte, indem sie dem Arzt so entschlossen Hilfe leistete.
Das hatte sich durchaus herumgesprochen, sowohl unter Falkenbergs Offizieren
und Soldaten der Wachmannschaft als auch unter den Bediensteten, die im
Erdgeschoss des Hauses und in einem der leer stehenden Gebäude Kraubachs
untergekommen waren. Vom Offizier bis hin zum Diener oder Koch: In den Blicken,
die Bernina gelegentlich streiften, lag Anerkennung. Und das war etwas, das sie
nicht mehr gespürt hatte, seit sie zuletzt auf einem Seil balanciert war,
verfolgt von begeisterten Menschen, die angesichts einer solchen Darbietung den
Atem anhielten.
    Der Abend kam schnell, ließ Dunkelheit wie ein riesiges Tuch über
die Gegend wehen. Einmal tauchte ein Melder auf, geradewegs vom Schlachtfeld,
um bald wieder auf seinem abgemagerten Pferd davonzugaloppieren. Wie Bernina
durch Poppel erfuhr, hatte sich bei den kämpfenden Armeen wenig getan. Es war
zu keinen weiteren Auseinandersetzungen gekommen. Offenbar hatte sich die
falsche Nachricht von Jakob von Falkenbergs Tod bis zum Feind herumgesprochen,
und Arnim von der Tauber sah keinen Anlass, seinen Sieg nun noch durch
unüberlegt vorgebrachte Attacken in irgendeiner Weise zu gefährden.
    Wie in der Nacht zuvor schlief Bernina viele Stunden, ohne ein
einziges Mal aufzuwachen. Sie teilte sich die Kammer mit dem Arzt, jeder von
ihnen in einer Ecke des Raumes in Decken gehüllt. Den Oberst hatte sie nicht
mehr zu Gesicht bekommen – allein Poppel kümmerte sich um ihn. Und es
blieb dabei: Falkenberg schien sich zu erholen. Er schlief meistens, aber wenn
er erwachte, wirkte er klar. Man gab ihm Brühe und Schweinefleisch zu essen,
und er ließ sich alles schmecken.
    »Sein störrisches Herz schlägt jedenfalls noch«, wie Poppel es zum
Ausdruck brachte, als er mit Bernina am nächsten Morgen ein paar Schritte ging.
»Kein Fieber. Die Wunden sehen halbwegs zufriedenstellend aus.«
    »Herr Poppel, Sie waren es«, betonte Bernina, »der sein
störrisches Herz vor dem Tod bewahrt hat.«
    »Sehr zu Ihrer Erleichterung, wie ich bemerkte.« Dieses eine Mal
gefiel ihr seine Ironie nicht.
    »Selbstverständlich reagierte ich erleichtert«, entgegnete sie.
»Bei jedem Menschen, der mit dem Tode ringt, hätte ich so reagiert.«
    »Daran habe ich nicht den leisesten Zweifel, Bernina. Ich dachte
nur gerade daran, dass Sie nach wie vor die Hoffnung haben, der Oberst kann
Ihnen irgendwie dabei helfen, Ihren Anselmo aufzuspüren.«
    »Selbstverständlich.«
    »Selbstverständlich«, wiederholte Poppel.
    »Weshalb sagen Sie das so? Mit dieser Betonung?«
    Seine Hand berührte flüchtig ihre Schulter. »Bitte seien Sie nicht
böse. Ich will mich nicht über Sie lustig machen. Ganz und gar nicht. Ich
wünsche mir nur, dass Sie Anselmo wiederfinden.«
    »Das wünsche ich mir noch mehr.«
    »Und dass Sie ihn dann«, fuhr Poppel fort, als hätte Bernina
nichts geäußert, »immer noch genauso lieben. Ich hatte von Anfang an das
Gefühl, dass Ihre Liebe zu ihm sehr … nun ja, sehr wahrhaftig

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