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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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unterbrach Bernina das zwischen ihnen
entstandene Schweigen. »Wenn Sie vor Erschöpfung ohnmächtig werden, nützt das
Falkenberg auch nichts.«
    »Mag sein, junge Dame, doch wenn ich mich jetzt aufs Ohr lege und
ein wenig vor mich hin schnarche, lassen mich diese ehrenwerten Offiziere höchstwahrscheinlich
vierteilen.«
    »Aber Sie haben sich seit Tagen nicht mehr richtig ausgeruht«,
widersprach Bernina. »Sie brauchen Erholung.«
    Er nickte, schwach und müde. »Da haben Sie vollkommen recht. Aber
wissen Sie, was ich auch brauchen könnte?«
    Sie blickte ihn an, wartete darauf, dass er weitersprach.
    »Sehen Sie sich doch mal um in diesem Gespensterhaus. Unten wird
es bestimmt eine Art Küche geben. Womöglich können Sie etwas Essbares –
und vor allem Trinkbares – aufspüren.« Er zwinkerte. »Da wäre ich Ihnen
jedenfalls sehr verbunden.«
    »Der Oberst mag ein Dickschädel sein, wie Sie sagten. Sie
allerdings stehen ihm in nichts nach.«
    Mit einem Lächeln verfolgte er, wie sie die Kammer verließ. »Gutes
Mädchen«, lobte er, ohne dass sie es hören konnte.
    Als Bernina kurz darauf wieder zurück war, trug sie ein Tablett in
den Händen.
    »Ich sehe, Sie sind fündig geworden«, rief Poppel.
    »Ich bin niemandem begegnet.« Mangels Platz stellte sie das
Tablett auf dem Boden ab. »Die Offiziere schlafen anscheinend alle. Vor dem Haus
allerdings sind wohl zwei Wachen postiert.«
    »Bestimmt sind auch im Dorf welche.« Poppel griff nach einem
Porzellanbecher und einem Krug mit Rotwein. »Also haben Sie eine Küche
entdeckt?«
    »Ja, im unteren Stockwerk.« Bernina betrachtete ihn mit einer Mischung
aus Tadel und Belustigung. »Der Wein war eher für später gedacht. Nehmen Sie
doch etwas von dem Brot, das ich gefunden habe. Und von dem Käse, er ist gut,
ich habe ihn gekostet. In dem anderen Krug ist Milch. Sie schmeckt
wunderbar – als wäre sie eben erst gemolken worden.«
    Poppel hatte den Becher bereits vollständig
geleert. »Das ist die Medizin, die jetzt Wunder wirkt.« Wieder sein Zwinkern.
»Ach ja, ich merke schon, wie meine Lebensgeister zurückkehren.«
    »Vor allem in Ihre Nase«, sagte Bernina mit einem Lächeln. Diese
hatte sich im Nu gefärbt und sprang nun strahlend aus seinem ansonsten
weiterhin bleichen Gesicht hervor, ein roter spitzer Hügel in weißer
Landschaft.
    Sie trat an den Tisch. Ihr Blick fiel auf die Schere, die wieder
zusammengesetzt worden war – aber irgendwie verkehrt. Ihre Schneiden
wiesen nun nach außen.
    »Sehen Sie lieber dorthin.« Poppel wies in eine Ecke der Kammer,
wo mehre zusammengefaltete Decken und darüber ein Kopfkissen lagen. »Das habe
ich in dieser Truhe hier entdeckt, während Sie unten gewesen sind. Tun Sie mir
den Gefallen, Bernina, und legen Sie sich hin. Sie haben die Ruhe nicht weniger
nötig als ich.«
    »Ich soll schlafen, während Sie …«
    »Bernina«, fiel er ihr freundlich, aber bestimmt ins Wort. »Im
Moment können Sie mir nicht helfen. Doch wer weiß, wenn ich mich um Falkenberg
kümmern muss, bin ich womöglich auf Unterstützung angewiesen.«
    Sie seufzte. »Ich helfe gern.«
    »Niemand weiß das besser als ich. Bis zum Sonnenaufgang bleibt
noch etwas Zeit. Nutzen Sie die Gelegenheit, um neue Kraft zu schöpfen.«
    Er fing an, den Käse mit einem Messer zu
zerteilen. Während sie ihm dabei zusah, wurde ihr bewusst, wie vertraut sie
beide miteinander geworden waren. Der Krieg hatte sie zusammengeführt.
    Nach einer kurzen Mahlzeit, die sie schweigend hinter sich
brachten, breitete Bernina die Decken aus.
    »Sie vergessen doch nicht, mich aufzuwecken, Herr Poppel, oder?«,
meinte sie mit vorgegebener Strenge.
    »Ehrenwort«, schwor Poppel, den Rücken ihr zugewandt, die Augen
bereits wieder über dem Tisch mit den Instrumenten.
    Mit dem Anblick von Anselmos Gesicht irgendwo in ihr schlief
Bernina ein, doch Anselmo verschwand nicht, er blieb bei ihr. Hand in Hand
durchstreiften sie die Wälder um den Petersthal-Hof. Sonnenschein, Wiesen mit
Wildblumen, das Gemurmel eines Baches, an dessen Rand sie sich niederließen. Er
küsste sie, seine Handfläche legte sich auf ihre Schulter, aber nicht zärtlich,
eher zurückhaltend, als wäre er bloß ein guter Freund. Sie schlug die Augen
auf.
    Ein Duft umspielte Berninas Nase. Teeduft. Sofort sah sie auf
einem der Hocker die eiserne Kanne, aus deren Schnabel kleine Dampfwölkchen
aufstiegen. Die Hand war immer noch auf ihrer Schulter. Nur dass sie nicht
Anselmo gehörte, sondern Melchert

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