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Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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Triumph
gewesen. Und den wollte ihm keiner der Offiziere zugestehen.«
    Poppel gähnte ausgiebig, bevor er fortfuhr. »Schließlich kam
Falkenberg zu sich, und man eröffnete ihm sofort, wie schwer es ihn erwischt
hatte. Er selbst hatte dann den Einfall mit Kraubach. Ein Schlupfwinkel, den er
schon des Öfteren genutzt hat, um unterzutauchen, wenn sogar er eine Pause vom
Kämpfen brauchte. Außerdem waren zu diesem Zeitpunkt auch Benedikt von Korths
Truppen eingetroffen. So konnte der Feind in Schach gehalten werden, während
man Falkenberg mit einer kleinen Begleit- und Wachmannschaft aus der
Gefahrenzone schaffte.«
    »Vorhin hatten Sie noch einige Ärzte erwähnt. Was hat es mit denen
auf sich? Wo sind sie? In dem Zimmer nebenan habe ich nur Offiziere gesehen.«
    »Stimmt, meine Liebe. Die Ärzte.« Poppels Mund verzog sich zu
einem flüchtigen Lächeln. »General von Korth hatte die angeblich besten Ärzte
bei sich, und er gab den Befehl, dass auch sie Falkenberg begleiten sollten.
Sein Leben zu retten, das war ihre Aufgabe.«
    »Aber wie kam es dann, dass Sie die Order erhielten, sich
ebenfalls auf den Weg nach Kraubach zu machen?«
    »Offenbar hält der Herr Oberst doch mehr von mir, als er zugeben
würde. Kurz vor dem Transport verlangte er, man sollte mir Bescheid geben, ihm
zu folgen, damit auch ich mir ein Bild machen könne.« Wieder zeigte er ein
rasches Lächeln. »Aber die übrigen Offiziere zweifelten am alten Poppel und
wollten mir den Wunsch erst gar nicht weitergeben. Nun ja, es kam, wie es kam:
Die ach so großartigen Ärzte, die beide die besten Universitäten besuchten,
untersuchten den Oberst und gaben ihn auf. Sie sind schon wieder mit einer
Eskorte abgereist, zurück zu General von Korth.«
    »Falkenberg schwebt also weiterhin in Lebensgefahr?«, fragte
Bernina, lauter und heftiger, als es ihr zunächst bewusst gewesen war.
    »Und ob er das tut.« Poppel nickte vor sich hin, ohne
aufzublicken. »Ja, alle rechnen nach wie vor mit seinem Tod.«
    »Aber jetzt sind Sie ja da.«
    Er hob hilflos die Hände, um sie dann auf der überfüllten
Tischplatte zu falten. »Erst wollten mich die Offiziere nicht, und nun bin ich
Falkenbergs einzige Chance. Eine Chance wohlgemerkt, die niemand als solche
ernst nimmt. Leider zu Recht, wie ich zugeben muss.«
    »Sehen Sie denn keine Möglichkeit, Falkenberg zu helfen?«
    »Ehrlich gesagt, nein.«
    Seine Hände begannen nach den Werkzeugen und Instrumenten zu
greifen, mit ihnen zu spielen. Bernina sah, wie es hinter seiner Stirn brannte,
wie krampfhaft er seine Gedanken in alle Richtungen vorantrieb.
    »Was hat es mit der Verletzung auf sich?«, forschte sie. »Oder mit
den beiden Verletzungen?«
    »Mmh.« Der Arzt zog sich den Hut vom Kopf und setzte ihn unter
seinem Hocker ab. »Die Verletzung an der Hand ist schwer, aber nicht
lebensbedrohlich. Das größere Problem ist die zweite Verletzung. Eine Kugel, an
die man einfach nicht herankommt. Sie sitzt so tief, dass die beiden Ärzte
Angst hatten, bei der Entfernung könnten sie dem Oberst den gesamten Bauch
aufreißen. Sie ist hier eingedrungen …« Poppel deutete auf seine Hüfte,
etwa in Höhe seines Gürtels. »Und zwar sehr schräg und, wie gesagt, sehr tief.«
    Berninas Blick lag gebannt auf ihm. »Und jetzt?«
    »Das ist die große Frage.« Der Feldarzt hantierte weiter mit
seinen geschickten Fingern, ohne sie anzusehen. Mithilfe einer Zange fing er
an, eine seiner Scheren in ihre beiden Einzelteile zu zerlegen. »Dumm nur, dass
ich keine Antwort darauf habe. Wenn diese Kugel nicht bald entfernt wird, muss
Oberst Jakob von Falkenberg mit Sicherheit doch noch den Weg in den Himmel
antreten. Oder in die Hölle. Bei ihm weiß man ja nie, woran man ist … Sie sehen,
da ist es wieder, das ewige Tauziehen. Himmel gegen Hölle.« Er lächelte
freudlos und setzte hinzu: »Und selbst wenn die Kugel entfernt werden könnte,
ist es nicht sicher, ob er überlebt. Sie wissen ja inzwischen Bescheid, was
allein der gottverdammte Wundbrand ausrichten kann.«
    Der Regen hatte etwas nachgelassen, die Nacht klebte nass und
schwarz am Fenster, und noch immer war von Zeit zu Zeit das Heulen der Wölfe zu
hören. Melchert Poppel beschäftigte sich weiterhin mit seiner Schere, auch mit
anderen Gegenständen, die er über die Tischplatte schob, die Augen wie immer
mit dicken roten Rändern, die Haut seiner Wangen und Stirn fast so wachsbleich
wie bei dem schwer verletzten Oberst im Nebenzimmer.
    »Sie brauchen Schlaf«,

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