Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geheimnis der Krähentochter

Das Geheimnis der Krähentochter

Titel: Das Geheimnis der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
Vom Netzwerk:
Sie mir!«, bellte die Stimme der Dame, diesmal vom Flur
her. Und begleitet von einem saloppen Winken des Obersts kam Bernina
schließlich dem Befehl jener Gräfin nach, die selbst etwas von einem Offizier
an sich zu haben schien.
    »Wohin bringen Sie mich?«
    »Zu einem weiteren Notfall«, kam die knappe Antwort.
    »Um wen geht es?« Berninas Stimme, in die sie all ihr Misstrauen
legte, klang in dieser Umgebung seltsam fremd.
    Die Absätze der beiden Frauen hallten fast schon gespenstisch
durch das ansonsten ruhige Gebäude. Die Mauern rechts und links von ihnen,
behängt mit Gemälden, die sommerliche Landschaften zeigten, strahlten eine
unfreundliche Kühle aus.
    »Um wen es geht?« Ein Auflachen. »Diesmal erwartet Sie ein weitaus
ernsterer Fall. So viel steht fest. Ich konnte mir bislang selbst noch kein
Bild machen.«
    Bernina fröstelte. Was für ein merkwürdiges Spiel war das? Während
sie noch krampfhaft überlegte, was dies alles wohl bedeuten mochte, kitzelte
sie etwas in ihrer Nase. Ein angenehmer Geruch, der sich von irgendwoher durch
die klamme Luft kämpfte, bis immer mehr davon um Bernina schwebte.
    Die Gräfin öffnete eine Tür und wies Bernina
an, in das dahinter gelegene Zimmer zu gehen. »Hier wartet der Notfall auf Sie,
und wie gesagt, es handelt sich keineswegs um eine Kleinigkeit.«
    So zögernd wie zuvor betrat Bernina auch diesen Raum, rasch
gefolgt von der energischen Frau, die die Tür sogleich schloss.
    Hitze. Das war das Erste, was Bernina wahrnahm. Eine nach dem
kalten Flur herrliche Hitze, die sich dampfend um sie ergoss und von einer
Wanne aufstieg. Außerdem war hier der Ursprung des Duftes, der sich schon
draußen in Berninas Nase verirrt hatte. Auch er kam aus der Wanne. Weich und
einschmeichelnd erhob er sich in die Luft und breitete sich bis in den letzten
Winkel des Zimmers aus.
    Sie ließ den Blick schweifen. Ein großes Fenster, beschlagen,
sodass kein Blick nach draußen möglich war. Ein Regal mit unzähligen Fläschchen
und Tiegeln. Eine einfache Holzbank, auf der einige elegante Damengewänder in
schillernden Farben ausgebreitet worden waren. Und diese Wanne, inmitten des
Zimmers, offenbar gerade erst bis zum Rand gefüllt mit wunderbar schäumendem
Wasser.
    Unschlüssig wandte Bernina sich der Gräfin zu. »Wo ist der Kranke?
Oder die Kranke?«
    »Sie meinen den Notfall, von dem ich sprach?«
    »Selbstverständlich.«
    »Mein liebes Kind, Sie sind dieser Notfall.« Ein kurzes, scharfes
Schnalzen mit der Zunge. »Und nun raus aus diesem Schandfleck von Kleid und
hinein mit Ihnen.«
    Sprachlos sah Bernina von der Frau zu dem schäumenden Wasser und
wieder zurück.
    »Ich scherze nicht«, lachte die Gräfin und stemmte die Hände auf
ihre runden Hüften. »Sie sind in der Tat ein Notfall, und zwar ein viel
größerer als ein betrunkener Offizier mit schwankenden Beinen und einer Beule
am Dickschädel.«
    Bernina suchte nach Worten – aber sie brachte vor
Verwunderung noch immer keinen Ton heraus.
    »Rein in die Wanne«, wiederholte die Gräfin drängend. »Ich weiß
noch nicht, wer Sie wirklich sind, was mit Ihnen los ist oder wie groß Ihre
Sorgen sind. Aber so kann es auf keinen Fall weitergehen.«
    Entschlossen trat sie hinter Bernina und begann resolut, das Kleid
von Berninas Schultern zu streifen, der es einfach nicht möglich war, etwas zu
tun, auf irgendeine Weise zu reagieren.
    »Junge Dame, ich werde ganz bestimmt nicht zulassen, dass Sie zu
einem Gerippe abmagern und vor Kummer eingehen.«
    Das Kleid glitt rau an Berninas Körper herunter und fiel auf dem
Boden mit einem leisen Rascheln in sich zusammen.
    »Ein wundervolles Kräuterbad ist immer der erste Schritt zur
Besserung«, polterten die Worte der Gräfin durch den Raum.
    Bernina stieg in die Wanne.
    Was für ein unbeschreibliches Gefühl! Zum ersten Mal seit langer
Zeit nahm sie sich selbst wieder wahr, wurde ihr bewusst, dass sie existierte.
Sie schloss ihre Augen und saugte den Duft des Wassers ein.
    »Entweder man ist tot«, drang die Stimme von Helene Gräfin zu
Wasserhain wieder zu ihr durch, »oder lebendig. Dazwischen gibt es nichts.
Entscheiden Sie sich, ob Sie wirklich tot sein wollen. Oder ob Sie das Leben
vorziehen.«
     
    *
    Von den Eiszapfen begann es zu tröpfeln, und der Rahmen aus Frost,
der die Fensterscheibe umringte, bekam Risse. Zum ersten Mal seit Langem gelang
es den von Pferden oder Eseln gezogenen Wagen, sich von Nürnberg bis zum Palast
durchzukämpfen. Während die Vorratskammern

Weitere Kostenlose Bücher